Schwelbrand
Nachmittag mit einer längeren Liste auftauchte.
Sie setzten sich zusammen, um ihre Ergebnisse abzugleichen. Lüders Liste umfasste siebenundfünfzig Namen, Große Jäger hatte gar über einhundert herausgesucht. Neunundzwanzig Personen überschnitten sich.
Die beiden Beamten begannen, sich die Profile dieser Verdächtigen näher anzusehen, zu überlegen, ob sie als Täter in Frage kommen könnten. Sie diskutierten das Für und Wider, um sich schließlich auf einen Kreis von elf Männern zu einigen.
»Hier ist die Emanzipation noch nicht angekommen«, stellte Lüder fest. »Es gab im erweiterten Kreis nur zwei Frauen, die ich aber aufgrund ihrer Vorgeschichte erst einmal nach hinten stellen würde. Ist es nicht merkwürdig, dass die männlichen Gene eher zur brutalen Gewalt führen?«
»Ist das evolutionär bedingt?«, fragte Große Jäger. Ihm war anzumerken, dass er die Frage nicht ernst nahm.
»Aus unserer empirischen Erkenntnis am heutigen Nachmittag könnte man ableiten, dass das Böse auf dem Y-Chromosom sitzt, da keine Frauen unter den Gewaltverbrechern auftauchen.«
Große Jäger winkte ab. »Da ist doch dieser ehemalige Bundesbankvorstand auch dran gescheitert, ich meine den mit dem Namen, der so ähnlich wie ein Wanderzirkus klingt. Hat der nicht auch irgendetwas von Genen gefaselt?«
Sie lachten beide. Dieses kleine Geplänkel diente der kurzfristigen Ablenkung.
»Wollen wir jetzt die elf verhaften, die wir uns ausgeguckt haben?«, fragte Große Jäger.
»Es gibt ungefähr sechseinhalbtausend tüchtige Polizisten in Schleswig-Holstein«, erwiderte Lüder. »Und bevor wir zuschlagen, benötigen wir mehr Beweise. Schließlich leben wir in einem Rechtsstaat. Da gilt zunächst die Unschuldsvermutung.«
Große Jäger zeigte ein breites Grinsen und bewegte den Zeigefinger, als würde er Lüder drohen. »Manchmal kann es von Nachteil sein, wenn man studiert, insbesondere wenn es Jura ist. Warum stehen diese Figuren in unserer Datei? Aus einem einzigen Grund: Sie haben sich nicht an unsere Rechtsordnung gehalten.«
»Trotzdem«, sagte Lüder und stand auf. »Was meinst du, wie bestimmte Presseorgane über uns herfallen, wenn wir ›rein prophylaktisch erst einmal eine Massenverhaftung vornehmen?«
Große Jäger seufzte. »Die gleichen Zeitungen verurteilen die dumme Polizei, weil sie es immer noch nicht geschafft hat, die kriminellen Elemente hinter Schloss und Riegel zu bringen.«
»Das trifft aber zum Glück nur auf bestimmte Medien zu. Ansonsten können wir uns glücklich schätzen, dass wir eine unabhängige Presse haben, die auf viele Dinge ein wachsames Auge wirft. Ohne unsere vielfältige Medienlandschaft wüssten wir zum Beispiel nicht, wer unser nächster unentdeckter Superstar ist, wo die schönste Frau im Lande wohnt oder der heißeste Bauer eine Frau sucht.«
»Kann es sein, dass Sie da etwas durcheinanderbringen?«, fragte Große Jäger.
Lüder schenkte ihm als Antwort ein Lachen und sagte: »Wir sollten noch einmal versuchen, den türkischen Jungen zu finden, der das Video aus Husum in YouTube eingestellt hat. Das ist übrigens sehr schnell wieder aus dem Netz herausgenommen worden.«
»Na schön.« Große Jäger sah auf die Uhr. »Vielleicht ist Halil Kayacik der Sonntag nicht heilig.«
Sie fuhren durch das sonntägliche Kiel ans Ostufer in den Stadtteil Gaarden. Obwohl die Dunkelheit hereingebrochen und es unangenehm nasskalt geworden war, lungerten viele der jugendlichen Bewohner auf der Straße herum.
»Vergnügen bereitet das sicher nicht«, stellte Große Jäger fest.
»Was sollen die sonst machen? Es fehlt an vernünftigen Freizeitangeboten, und das mit PC und schnellem Internetanschluss ausgestattete Kinderzimmer haben die wenigsten von ihnen.«
Sie fanden einen Parkplatz in der Kaiserstraße, unweit des Hauses, in dem die Familie Kayacik wohnte. Erneut öffnete der Vater die Tür.
»Was wollen Sie schon wieder, eh?«, fragte er in einer deutlich aggressiven Tonlage.
»Wir haben Ihnen schon gesagt, dass wir Ihren Sohn dringend sprechen müssen. Sollen wir ihn zur Fahndung ausschreiben?«, sagte Große Jäger.
»Mein Sohn hat nix gemacht. Er ist kein Verbrecher. Warum glauben alle, wir Türken sind schlecht?«
»Das hat niemand behauptet«, mischte sich Lüder ein. »Tatsache ist, dass Halil etwas ins Internet eingestellt hat und wir dringend wissen müssen, woher er den Film hat. Und zwar heute noch.«
»Soll das eine Drohung sein? Woher wissen Sie überhaupt, dass
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