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Schwelbrand

Schwelbrand

Titel: Schwelbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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mein Sohn es war? Der macht so etwas nicht.«
    »Wir haben handfeste Beweise, dass die Aktion hier erfolgt ist. In Ihrer Wohnung«, sagte Große Jäger.
    »Das ist nicht wahr. Das Internet ist überall. In der ganzen Welt. Aber nicht bei uns.«
    »Herr Kayacik. Die IP-Adresse ist eindeutig als Ihre identifiziert. Daran gibt es keinen Zweifel«, erklärte Große Jäger geduldig.
    »Wir haben keine IP-Adresse. Wir sind keine Deutschen«, beharrte der Mann.
    »Ich verstehe ja, dass es ein schwieriges technisches Thema ist. Trotzdem! Hier ist Gefahr im Verzug. Wenn Sie uns nicht zu Ihrem Sohn lassen oder Zutritt zu Ihrer Wohnung gewähren, müssen wir uns Zutritt verschaffen.«
    »Was wollen Sie?« Herr Kayacik war laut geworden. Die Erregung stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Sie wollen mit Gewalt in meine Wohnung?«
    »Wir möchten Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten. Nun seien Sie doch vernünftig. Rufen Sie Ihren Sohn an und richten Sie ihm aus, er möge umgehend nach Hause kommen. Oder wollen Sie, dass wir Verstärkung anfordern und mit einem großen Polizeiaufgebot anrücken? Doch nicht wegen einer solchen Lappalie.« Der Oberkommissar sprach immer noch leise, seine Stimme war aber eindringlicher geworden.
    »Nichts. Niemand kommt in meine Wohnung. Gehen Sie!« Ugur Kayacik schrie jetzt. Prompt öffnete sich die gegenüberliegende Tür, und der Nachbar erschien im Treppenhaus. Er wechselte mit Kayacik ein paar Worte auf Türkisch. Dann musterte er die beiden Beamten aus finsteren Augen. Kurz darauf verschwand der Nachbar in seiner Wohnung und kehrte mit einem Telefon in der Hand zurück.
    »Es ist besser für Ihre Gesundheit, wenn Sie verschwinden«, drohte Ugur Kayacik. »Und kommen Sie nie wieder, um meine Familie zu belästigen.«
    »Wir können doch keine rechtsfreien Räume zulassen«, schimpfte Große Jäger, als Lüder ihn am Unterarm packte und zur Treppe zog.
    »Das machen wir auch nicht. Im Augenblick ist die Situation aber so, dass sie zu eskalieren droht. Möchtest du dich mit einem Dutzend Nachbarn anlegen? Ich habe eine andere Idee.«
    Der Oberkommissar folgte Lüder, obwohl ihm anzumerken war, dass er davon nicht begeistert war.
    »Was haben Sie für einen grandiosen Gedanken?«, fragte er verärgert, als sie vor dem Haus auf der Straße standen.
    »Die Jugendlichen in diesem Viertel kennen sich, insbesondere wenn sie der gleichen Volksgruppe angehören. Der alte Kayacik sah nicht so aus, als würde er in seiner Familie einen liberalen Lebensstil dulden. Ich könnte mir vorstellen, dass der Sohn froh ist, wenn er der häuslichen Enge entfliehen kann. Wir fragen uns durch. Vielleicht haben wir Glück und treffen ihn irgendwo an.«
    Große Jäger brummte etwas Unverständliches, folgte Lüder aber mit einem halben Schritt Abstand. Es war ihm anzusehen, dass er wenig Begeisterung empfand, bei dem leichten Nieselregen, der eingesetzt hatte, durch das Viertel zu streifen. Es war ungemütlich, und vorweihnachtliche Stimmung konnte bei diesem Wetter nicht einkehren, auch nicht, wenn es der erste Advent war.
    Lüder fiel auf, dass es in diesem Stadtteil wenig vorweihnachtliche Beleuchtung gab. Kaum ein Geschäft hatte die Schaufenster der Jahreszeit entsprechend dekoriert. Lüder hielt vergeblich Ausschau nach einem Stimmungsleuchter, wie die beleuchteten Kerzenständer hießen, die sonst die Fenster zierten.
    Sie begegneten keinem Menschen auf der Straße. Auch der Vinetaplatz, das Herz Kiel-Gaardens, wirkte wie ausgestorben. Im Schein der spärlichen Laternen glänzte der feuchte Überzug des roten Pflasters, das durch Streifen eingestreuten Granits aufgelockert wurde. Die kahlen Bäume auf ihren Bauminseln unterstrichen das trostlose Ambiente. Als wenn Große Jäger Lüders Gedanken erraten hätte, sagte er: »Um diese Jahreszeit und bei diesem Wetter sieht alles so deprimierend aus.«
    Vielleicht hat er recht, dachte Lüder. Wie anders mochte es auf dem lichterhellen Lübecker Weihnachtsmarkt aussehen, den seine Familie heute besuchte, während er durch den Nieselregen stapfte.
    Der würfelförmige Eispavillon lag einsam auf dem Platz, an dessen Rand ein Balkanrestaurant und die »Marktklause« mit ihren Beleuchtungen ein wenig Leben verhießen. Zwischen der Kneipe und einer Apotheke führte ein Torweg in einen Hinterhof. Im Schutze des Durchgangs fanden die Beamten eine Handvoll Jugendlicher, die dort standen, rauchten, sich gegenseitig etwas auf ihren Handys vorspielten und lautstark

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