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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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davon, dass er nicht immerzu diese Schnaps- und Mostleichen von der Straße kehren muss und die verprügelten Ehefrauen vernehmen. Und dass auch er ein wenig Ansehen genießt, ein wenig Respekt, wie er einem richtigen Kriminalpolizisten entgegengebracht wird.
    »Wissen Sie«, fuhr Claudia fort, »er wollte kein Kommissar sein wie die Kommissare im Fernsehen oder wie Sie es sind. Das könnte er gar nicht, hat er mir gesagt. Aber er hätte sich nur zu gern nützlich gemacht, still im Hintergrund. Er hat gehofft, dass Sie oder der Herr Polizeidirektor dann und wann erkennen, was man an ihm hat. Und als dann der Auftrag kam, diese Tonbänder zu übersetzen, da hat er fest geglaubt, dass das sein Sechser im Lotto ist, und wir haben uns auch wirklich alle Mühe gegeben, alles richtig zu machen und es genau so aufzuschreiben, wie es diese Leute gesagt haben . . .«
    »Moment«, sagte Berndorf, »diese Übersetzungen haben Sie gemacht?«
    »Ach wissen Sie, Herr Kommissar«, sagte Claudia und errötete, »Fred ist nicht mehr der Jüngste, er hat auch nie so den Kopf zum Lernen gehabt, er versteht aber schon ganz gut Italienisch, ganz bestimmt, nur haben diese Leute im Dialekt geredet,
so, wie es die Leute südlich von Neapel tun, da musste ich ihm einfach helfen. Er hätte doch kein Wort davon verstanden, und manches war sogar für mich ziemlich schwierig. . .«
     
    Zumindest für diesen Tag hatten sich Donau und Iller zurückgeholt, was ihnen einmal gehört hatte. Durch die tiefer gelegenen Straßen und Wohnviertel auf dem linksseitigen Donauufer marodierte das Wasser wie eine siegreiche Armee in der Hauptstadt des Feindes.
    Im Neuen Bau herrschte Ruhe. Der Krisenstab hatte am späten Morgen nach Stuttgart melden können, dass die Schäden zwar erheblich, aber auf der baden-württembergischen Seite doch nicht so katastrophal seien wie auf der bayerischen. Aus einigen Weilern waren – in dieser Reihenfolge – das Vieh und die Menschen evakuiert worden, und in einigen Ortschaften, in denen das Hochwasser bereits wieder zurückging, waren Feuerwehr und Technisches Hilfswerk dabei, Keller auszupumpen und Straßen freizuräumen.
    Tamar hatte ihren Bürostuhl so weit vom Schreibtisch zurückgeschoben, dass sie die Füße auf die Tischplatte legen konnte, und las eine Biographie über Vita Sackville-West, jener Frau, die so sehr das Vorbild für Virginias Woolfs »Orlando« gewesen war, dass Vitas Ehemann Harold Nicolson ihr aus den USA berichten konnte: »Eine Frau schreibt, dass sie sich unterbrechen und die Seite küssen muss, wenn sie Orlando liest. Von deiner Rasse, nehme ich an. In den USA steigt der Prozentsatz der Lesbierinnen, alles deinetwegen.«
    Die Arme, dachte Tamar. Sie selbst hatte kein Papier küssen müssen. Der Sonntagmorgen war so herzerwärmend gewesen, dass sie noch im Nachhinein ganz allein für sich errötete. Ein Glück, dachte sie, dass die alten Leute unten im Haus nicht mehr so gut hören. Das Telefon klingelte. Tamar betrachtete es voll Abscheu, dann nahm sie widerwillig den Hörer ab. Berndorf meldete sich und wollte wissen, ob es besondere Vorkommnisse gebe. »Nöh«, sagte sie lässig, »alles unter
Kontrolle. Zwar steht halb Neu-Ulm unter Wasser, aber das ist das Problem unserer bayerischen Kollegen.«
    »Sehr schön«, sagte Berndorf. »Leider muss ich Sie mit something completely different belästigen.« Er machte eine Pause. »Freddie ist verschwunden.«
    »Freddie, ja?«, fragte Tamar zurück. »Haben Sie sich einen Hund zugelegt?«
    »Polizeihauptmeister Alfred Krauser«, fuhr Berndorf mit ungerührter Stimme fort, »ist gestern in die Stadt gefahren, angeblich wollte er telefonieren, und seither ist er nicht mehr zurückgekommen.«
    »Oh, der Kollege Krauser!«, sagte Tamar. »Das ist allerdings ein sehr ernstes Problem. Lassen Sie mich raten. Er hat etwas gefunden, was er für eine Haschischplantage gehalten hat, und dann ist ihm der Bauer mit der Mistgabel nach und Krauser ist auf der Flucht in eine Baugrube gefallen?«
    »Kalt. Krauser war doch in diese Telefonaktion eingeschaltet, mit der Englin die Mafia überwachen wollte?«
    »Mach ein Fragezeichen dazu. Es ist eine Frage«, antwortete Tamar. »Allerdings erinnere ich mich daran. Niemals werde ich die Aktion Fragezeichen vergessen. Falls ich je zu Enkelinnen komme, werde ich es ihnen erzählen.«
    »Krauser hat auf eigene Faust weiterermittelt«, fuhr Berndorf fort. »Das heißt, ermittelt ist nicht ganz der richtige Ausdruck. Er

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