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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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gut fürs Einschlafen.
    Judith Norden stand benommen auf, ging in ihre kleine Küche und holte aus dem Kühlschrank eine Flasche Mineralwasser. Sie schraubte sie auf und trank einen Schluck.
    Judith fröstelte. Sie zog den Morgenmantel über. Blöder Traum, dachte sie. Kein Mensch kann durch Mauern schauen. Niemand kann das. Der Joint war schuld.
    Sie setzte Teewasser auf und schaltete das Radio ein. Im Regionalfunk schrummte eine Blaskapelle, dann brach sie ab, und das Radio düdelte. »Auf der Autobahn AS hat sich in Fahrtrichtung Ulm ein Stau von acht Kilometer Länge gebildet.« Die Blaskapelle durfte weiterscheppern. Noch immer schlich graues Unbehagen durch Judiths Kopf. Der Joint hatte es sogar schlimmer gemacht.
    Dann fiel es ihr ein. Sie hatte gestern Welf in seinem Büro zu erreichen versucht. Die Frau in der Telefonzentrale, mit der
sie ab und an Kaffee trinken ging, hatte ihr gesagt, dass er weggefahren war. Wohin, wusste niemand. Kurz vorher waren diese zwei Leute von der Polizei im Büro gewesen, der hinkende Mann und seine aufgetigerte Assistentin.
    »So viele tausend Stunden/und niemals heilen meine Wunden« schluchzte eine Männerstimme.
    Vermutlich waren die Bullen wegen der Geschichte am Ostbahnhof gekommen. Das war sowieso eine besonders blöde Idee von Rodek gewesen, dachte sie. Der Berliner Hausbesitzer, der einen seiner Neger so etwas hatte machen lassen, war wegen Mordes eingebuchtet worden.
    Sie goss den Tee auf. Der Sänger hörte auf zu schluchzen. Eine andere Männerstimme begann, das Wetter anzusagen. Es würde schön werden, schöner als sonst in diesem Sommer.
    Plötzlich wurde ihr klar, dass Rodek seine Idee vermutlich überhaupt nicht blöd gefunden hatte. Er hatte Welf so in die Zange nehmen wollen, dass dieser niemals mehr herauskommen würde. Bei klarem Lichte betrachtet, konnte man das Rodek nicht einmal übel nehmen. Sie selbst schon gar nicht. Schließlich war sie so etwas wie seine Erbin. Dass er etwas unfreiwillig zum Erblasser geworden war, kümmerte niemanden. Erstens war das nicht der einzige Erbfall mit Nachhilfe. Und zweitens konnte niemand durch Mauern sehen.
    Du drehst dich im Kreis, dachte sie.
    »Die Ulmer Polizei sucht nach dem 32-jährigen Stefan Rodek«, hörte sie plötzlich die Stimme im Radio sagen. »Nach den bisherigen Ermittlungen der Polizei ist Rodek dringend verdächtig, eine Gasexplosion in einem Wohnhaus in der Nähe des Ulmer Ostbahnhofs herbeigeführt zu haben. Bei der Explosion ist am Abend des 26. Mai ein 35-jähriger Gelegenheitsarbeiter getötet worden. Rodek ist 1,92 Meter groß, dunkelhaarig und von sportlicher Figur. Vorsicht! Rodek ist ausgebildeter Karatekämpfer und gilt als gefährlich.« Der Ansager gab die Telefonnummer durch, unter der die Polizei Hinweise — »auch vertraulich« – entgegennahm.
    Na, denn telefoniert mal schön, dachte Judith und schenkte
sich eine Tasse Tee ein. Sie blies über die heiße Tasse. Wie war das? Die Polizei suchte Rodek, und sie war bei Welf gewesen. Was konnte das anderes bedeuten, als dass sie die Verbindung zwischen diesen beiden herausgefunden hatte? Schließlich gab es da ja noch immer das Mädchen, die Vera sonst was, was immer mit der gewesen war. Vermutlich hatten Welf und Rodek das gleiche Spiel mit ihr getrieben.
    »In der Affäre um die Ulmer Erd-Deponie haben die Oppositionsparteien im Landtag gestern einen Untersuchungsausschuss gefordert. Der Ulmer Baudezernent Klotzbach hat dagegen alle Vorwürfe zurückgewiesen. Die Sonderkonditionen für die Arbeitsgemeinschaft Flughafen seien den zuständigen Gremien des Ulmer Gemeinderats bekannt gewesen. Dabei sei von keiner Seite Widerspruch erhoben worden.«
    Judith stellte das Radio ab und schaute auf die Uhr. Es war erst kurz vor sieben. Die Alfa-Werkstatt öffnete um halb acht. Die Mechaniker hatten den Spider abgeholt. Aber so schnell würden sie ihn nicht wieder zum Laufen bringen. Dabei lag es nur am Zündverteiler, wie der kleine Polizist gesagt hatte, damals, als sie nachts unterwegs gewesen war.
    Komisch, dass sie dem Kleinen wieder begegnet war. »So sieht man sich wieder«, hatte er gesagt. Oder etwas in der Art. Sie hatte nicht genau darauf geachtet, weil sie sich kaum mehr auf den Beinen hatte halten können. Das war nach der Geiselnahme gewesen, als der Kleine sie ins Krankenhaus brachte.
    Sie musste sich setzen. Die Erinnerung an die Nacht, als sie von den beiden Beamten angehalten worden war, wurde ihr plötzlich gegenwärtig wie ein

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