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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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mit ihm zu spielen: ja, gewiss, das würde auch ihr Leid tun.
    Woher wusste sie eigentlich, dass es ein kleiner schmutziger
Skandal war? In dem Abbruchhaus am Ostbahnhof hatte es einen Toten gegeben. Plötzlich sah sie die Zeitung mit den backsteingroßen Überschriften vor sich. Weiß er, dass sein Vater ein Mörder ist? könnte da stehen, und dazu ein Bild von Georgie, wie er zutraulich auf den Journalisten zuläuft, mit dem Teleobjektiv aufgenommen. Niemals, dachte sie.
    Das Telefon klingelte. »Papa«, sagte Georgie und hob erwartungsvoll den Kopf. Marie-Luise legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm, während das Telefon weiter läutete. Dann schaltete sich der automatische Anrufbeantworter ein.
    »Marie-Luise? So melde dich doch!« Scharf und drängend klang Ellinors Stimme durch den Zimmerlautsprecher. »Ich weiß, dass du da sein musst. Jörg braucht dich jetzt. Jörg ist dein Mann. Hast du das ganz vergessen?«
    »Oma«, sagte Georgie, zog seinen Arm unter ihrer Hand vor, wand sich blitzschnell unter der Kindersicherung hindurch aus seinem Stuhl und lief zum Telefon.
    Das ertrage ich noch weniger als die Journalisten, dachte Marie-Luise. Dennoch stand sie auf und ging zum Telefon, das ihr Georgie entgegenhielt.
    »Ja, Mutter«, sagte sie müde.
     
    Tamar verließ die Westumgehung und fuhr zum Weißen Eselsberg hoch. »Irgendetwas ist merkwürdig«, sagte Kuttler. »Dieser Gerichtsschreiber ist doch schon seit einiger Zeit verschwunden. Seit mindestens drei Wochen.«
    »Ja?«, machte Tamar und schaltete in den dritten Gang.
    »Aber dieser Frau, die mit dem Maurerwerkzeug unterwegs war, hat Orrie erst am Freitagabend den Zündverteiler repariert. Ich meine, wenn sie wirklich diesen Gerichtsschreiber eingemauert hat, dann doch nicht erst am Freitag.«
    Ein Bus der Linie 4 kam ihnen entgegen. Tamar nahm dem Fuß vom Gaspedal und hielt nach den Hausnummern Ausschau.
    »Vermutlich hast du Recht«, antwortete sie. »Vermutlich hat alles seine Richtigkeit, und diese Frau fährt die Maurerkelle
nur spazieren, weil sie nicht dazu kommt, sie aufzuräumen. Was weiß ich! Aber nachschauen müssen wir trotzdem. Erstens vermissen wir jemanden, der früher einmal mit dem Bauunternehmer Welf zu tun gehabt hat. Zweitens gibt es diesen Neubau, in dem merkwürdige Dinge vorgehen. Drittens fährt diese Assistentin nachts mit Maurerwerkzeug einer unserer Streifen in die Arme: Also wenn wir uns da nicht diesen Neubau zeigen lassen, wäre uns wirklich nicht mehr zu helfen. Wir sind hier doch nicht in Belgien.«
    »Ja, Chefin«, meinte Kuttler ergeben. »Trotzdem muss ich um neun zu dieser Bank, in der die Vochezer früher gearbeitet hat.«
    »Moment«, sagte Tamar, »hier muss es sein.« Sie parkte den Wagen rückwärts ein. »Heißt das, du hast sie noch nicht gefunden?«
    »Was sonst soll es heißen?«, gab Kuttler zurück. »Jedenfalls ist sie in keinem Hotel, in keiner Pension und auch nicht im Frauenhaus abgestiegen.«
    Sie stiegen aus. »Die im Frauenhaus waren übrigens durchaus kooperativ, ich hab mich gewundert.«
    »Ach?«, sagte Tamar. »Hast du Angst gehabt, sie schneiden dir was ab?«
    »Was Männer angeht, könntest du dir auch mal ein paar neue Klischees zulegen«, meinte Kuttler würdig.
    Tamar hatte das Namensschild mit der Aufschrift »judith norden« entdeckt und hielt den Finger auf dem Klingelknopf. Nichts rührte sich.
     
    Der Geschäftsführer hatte Judith zunächst ein pinkfarbenes Coupé angeboten, offenkundig in der Erwartung, sie würde ihm vor Entzücken um den speckigen Hals fallen.
    »Nein«, hatte sie erklärt, »ich hab keine Lust, mich von allen specknackigen Dummköpfen anhupen zu lassen.«
    Schließlich hatte sich ein schwarzer Viertürer gefunden, der so aussah, wie alle anderen schwarzen viertürigen Autos auch. Er war genau das, was Judith haben wollte.

    Sie nahm die Auffahrt zur Adenauerbrücke und bog von dort nach Neu-Ulm ab. Links und rechts der Straße sah sie noch das angeschwemmte Treibholz, von der unheimlichen Macht des Wassers zurückgelassen. Die Parkplätze in der Innenstadt waren geräumt. Sie stellte den Wagen ab und ging den Weg zur Uferpromenade hinab. Dort wandte sie sich nach links.
    Die Donau schoss lehmfarben und strudelnd an ihr vorbei. Judith stapfte über den Sand, den die Flut auf den Weg gespült hatte. Noch bevor sie die Baustellenfahrzeuge sah, hörte sie die Dieselmotoren. Judith blieb hinter einer Weide stehen.
    Irgendwer war dabei, den Keller des Neubaus

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