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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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auszupumpen. Neben den Männern in der blauen Arbeitskluft standen Polizisten. Die Arbeiter gehörten zu dem polnischen Subunternehmer, der für Welf arbeitete. Von ferne erkannte sie den Kapo der Kolonne, der neben einer großen schlanken Frau stand, die über irgendwelche Papiere gebeugt war. Die Papiere waren auf der Motorhaube eines Streifenwagens ausgebreitet. Die Frau war die Polizistin, die ihr die Fesseln aufgeschnitten hatte. Wenn das die Pläne für den Neubau sind, dachte sie in plötzlich aufflammendem Ärger, dann soll diese Kuh nicht so tun, als ob sie sie lesen könnte. Abrupt wandte sie sich ab und ging den Weg zurück. Sie rannte nicht, sondern ging bedächtig, wie eine Spaziergängerin, die umgekehrt war, weil ihr das krumm und nackt angeschwemmte Geäst zu lästig wurde. Aber während sie ging, kroch Panik in ihr hoch.
    Die Mauer wird ihnen nicht auffallen. Sie steht, wo eine Mauer stehen muss. Dass der Kellerraum um einen unmerklichen halben Meter kürzer ist als auf dem Plan eingetragen, hat nichts zu bedeuten. Niemand wird sich daran stören.
    Als sie ihren Wagen erreicht hatte, zitterte sie so, dass sie die Tür nicht mit der Fernbedienung öffnen konnte, sondern sie von Hand aufschließen musste. Sie ließ sich auf den Fahrersitz sinken und versuchte, tief durchzuatmen.

     
    »Polizisten schon alles gesehen«, sagte der Kapo. Er hieß Tadeusz und betrachtete Tamar durch eine Drahtbrille, die ihm das Aussehen eines verkleideten polnischen Professors für Baugeschichte gab. Vielleicht war er das auch wirklich, dachte Tamar. »Trotzdem ich euch alles zeigen und erklären«, fuhr er fort und wies höflich auf die mit Schutt und Schlamm zugeschwemmte Eingangshalle. »Ich hole Gummistiefel.«
    Einer der Neu-Ulmer Polizisten wandte sich an Tamar und meinte, er müsse ja ein Protokoll aufsetzen und deshalb sei es besser, wenn er sie begleiten würde. Der Mann war lang und dünn und sah Tamar mit einem Blick vorsichtiger Beflissenheit an. Ein Namensschild wies ihn als den PHM Kubitschek aus. »Ich möchte oben beginnen, in der Wohnung, in der die Geiseln waren«, sagte Tamar. »Wir sollten auf alle Veränderungen achten, die gegenüber den ursprünglichen Plänen vorgenommen wurden.« Der Kapo kehrte zurück und brachte Gummistiefel und einen Schutzhelm, die so aussahen, als seien sie fast nicht benutzt worden. Tamar setzte den Helm auf und schlüpfte in die Stiefel. Die Pläne des Neubaus hatte sie zusammengefaltet, um sie mitzunehmen.
    Gemeinsam stiegen sie das Treppenhaus bis in die oberste Etage hoch, vorbei an den Trümmern, die der Einsatz der bayerischen Kommandoeinheit hinterlassen hatte. Die Tür der Wohnung, in der die Geiseln gefangen gewesen waren, hing nur noch schief und zersplittert in den Angeln. Der Zugang war durch zwei schräg gestellte Bretter versperrt, die an den Türholmen festgenagelt waren. Ein Amtssiegel bestätigte, dass hier der Freistaat Bayern gewaltet hatte. Kubitschek löste das Amtssiegel und — mit Hilfe eines mitgebrachten Nageleisens — auch die Bretter.
    In der Wohnung waren die Jalousien heruntergelassen, die Fenster zum Teil eingeschlagen. Als sie das Licht einschalteten, fiel ihr Blick auf Glasscherben, Essensreste und die Markierungen, die die Spurensicherung hinterlassen hatte.
    Tamar machte sich daran, die Wohnung nach verborgenen Hohl- oder Zwischenräumen zu untersuchen.

    »Wenn Sie sagen, wonach suchen, ich kann helfen vielleicht«, meinte der Kapo. Tamar dankte und meinte, er solle sie aufmerksam machen, wenn etwas verändert worden sei.
    »Ich glaube nicht, dass da was ist«, mischte sich Kubitschek ein. »Wir haben einmal auch so einen Einsatz gehabt. Einen Langhaarigen haben wir da gesucht, ich glaub, er hat mit Pornos gehandelt. Oder etwas in der Art. Und wissen Sie, wo er gesteckt hat?« Tamar warf ihm einen warnenden Blick zu. Kubitschek begriff nicht. »Ich seh schon, Sie kommen nicht darauf. In einem Bienenstand. Nur muss er dort einen falschen Griff getan haben. Als wir ihn gefunden haben, war er schon ganz verschwollen.«
    »Zu schade, dass die bayerische Polizei nicht öfter auf Bienen zurückgreifen kann«, antwortete Tamar honigsüß. »Man hätte sie hier einsetzen müssen, und die Geiselnehmer hätten nicht mehr in den Lastenaufzug gepasst.«
    Der Kapo Tadeusz hatte ihnen zugehört. Tamar überlegte, was er wohl über die deutsche Polizei denken mochte.
    Sie gingen in die nächste Wohnung. Hier waren weder Fliesen verlegt noch die Wände

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