Schwemmholz
Schlag in die Magengrube. Sie versuchte, tief durchzuatmen. Die beiden Polizisten hatten ihren Wagen sehr genau angesehen, aus Langeweile oder aus Anmache. Sie würden sich an die Plastikwanne und an das Werkzeug erinnern. Natürlich erinnerten sie sich daran. Sie hatte irgendetwas von einer Freundin gesagt, bei der sie das Dachgeschoss ausbauen wollte. Der kleine Polizist würde es noch wissen. Und jetzt wusste er, dass sie gelogen hatte.
Der Nebel in ihrem Kopf war weggeblasen. Niemand konnte
durch Mauern sehen. Trotzdem durfte sie nicht in dieser Wohnung bleiben. Die Werkstatt musste ihr einen anderen Wagen geben. Gleich um halb acht würde sie anrufen.
Sie überlegte. Nein, dachte sie. Wenn sie Welf in die Mangel nehmen, hält er nicht lange durch. Der nicht. Er war die schwächste Stelle. Sie ging in ihr Schlafzimmer zurück und zog sich hastig an. Ohne groß zu überlegen griff sie sich dunkle Jeans, dazu einen leichten dunklen Pullover und eine Lederjacke. Im Spiegel sah sie, dass das blaue Auge, das ihr Rodek geschlagen hatte, ins Gelbliche zu schimmern begann. Es sah verboten aus. Schon dafür, dachte sie, hatte er die Mauer verdient. Sie ging ins Bad und legte etwas Puder auf.
Das Ergebnis war unbefriedigend. Im Geschäft hatten sie einmal eine Kollegin gehabt, die jeden zweiten Montag auch so ins Büro gekommen war, blau und grün geschlagen, aber alles sorgsam mit Puder kaschiert, dass es einen Hund hätte jammern können. Judith hatte sich schließlich gar nicht mehr zu fragen getraut, was denn am Wochenende nun wieder gewesen war. Irgendwann war die Kollegin so mürbe gewesen, dass sie ins Frauenhaus ging.
Egal, dachte sie. Sie steckte ihre Papiere ein, dazu Rodeks Brieftasche. Wenigstens hatte sie jetzt etwas Geld. Außerdem sollte der Hinkende die Brieftasche nicht ausgerechnet bei ihr in der Wohnung finden. Sie warf einen letzten Blick in die beiden Zimmer, dann ging sie noch einmal zurück und nahm aus der Tonschale auf dem Bücherbord den Schlüssel für das Bootshaus. Man konnte nie wissen. Dann zog sie die Tür zu und schloss ab. Es war kurz vor halb acht. Wenn sie sich beeilte, würde sie den Vierer-Bus um 7.33 Uhr bekommen.
Es würde ein schöner Tag werden. Marie-Luise hatte die Schiebetüren zum Atrium geöffnet, eine Brise frischer, noch kühler Luft drang herein und roch nach Sommer und Freibad.
Georgie spielte mit dem Löffel in seinem Müsli herum und warf von Zeit zu Zeit einen Blick zu ihr hin, der fragend und ratlos schien. Er spürt, dass etwas nicht in Ordnung ist, dachte
sie. In der Nacht hatte Jörg angerufen. Er sei im Neuen Bau, sagte er, und werde heute Nacht nicht heimkommen. Aber sie solle sich keine Sorgen machen, Rechtsanwalt Simpfendörfer werde sich um alles kümmern.
»Du kommst nicht heim? Heißt das, sie haben dich festgenommen?« , hatte sie gefragt.
»Ein Missverständnis«, hatte er geantwortet. »Es wird sich alles aufklären. Simpfendörfer wird den Rechtsanwalt Eisholm aus München zuziehen. Das ist ein absoluter Profi.«
Was redet er nur, hatte sie gedacht. In den schlaflosen Stunden der Nacht, die auf den Anruf gefolgt waren, hatte sie versucht, ihre Gedanken auf die Reihe zu bringen. Am Ende war sie in einen Halbschlaf verfallen, mit wirren Träumen.
Noch vor dem Frühstück hatte sie Simpfendörfer angerufen und mit allem Nachdruck, den sie noch aufbringen konnte, Auskunft verlangt. Simpfendörfer war dazu verpflichtet, denn er war schon immer der Anwalt ihrer Familie gewesen. Aber sie hatte nur Gewäsch zu hören bekommen. Nein, es bestehe kein Grund zur Sorge. Nein, er kenne die genauen Vorwürfe auch nicht. Möglich, dass es mit der Explosion in dem Abbruchhaus zusammenhänge. Ja, sein Kollege Eisholm aus München sei ein Spezialist für solche Verfahren, spätestens am Abend werde es einen Termin beim Haftrichter geben. Nein, die Polizei werde die Presse nicht verständigen, das habe man ihm ausdrücklich versprochen.
Schließlich hatte Marie-Luise wortlos aufgelegt. Also wollte die Polizei Jörg tatsächlich hinter Gitter bringen. Trotz Simpfendörfers Versprechungen würden die ersten Journalisten vermutlich am Nachmittag anrufen. Ulm hatte einen schmutzigen kleinen Skandal. Aber warum eigentlich nicht? Wenn Jörg eingesperrt wurde wegen irgendwelcher Machenschaften — was ging das denn sie an? Jörgs Frau war sie ohnehin nur noch auf dem Papier. Und für Georgie bedeutete ein Skandal nichts. Dass der Vater nicht mehr da sein würde, um
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