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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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verputzt. Die Räume waren großzügig geschnitten. Nichts sah danach aus, als sei es nachträglich verändert worden. Dennoch klappte Tamar einen Zollstock auf und begann, überall dort die Abmessungen nachzuprüfen, wo sich Vorsprünge und Einbauten befanden.
    »Also ich glaub nicht, dass Sie da was finden«, sagte Kubitschek.
    Tamar sah ihn kalt an.
    »Ich mein ja bloß«, entschuldigte er sich.
     
    Das Ulmer Arbeitsamt war zu Beginn der 80er-Jahre gebaut worden, und der Architekt hatte nicht ohne Erfolg versucht, die Behörde des Kummers und des Mangels gefällig mit roten Klinkern zu verkleiden. Und statt endloser Flure hatte er überschaubare, sechseckige Innenräume entworfen, um die herum die einzelnen Büros und Sprechzimmer gruppiert waren.
    Vera wartete nun schon eine Dreiviertelstunde. Die Stellenangebote,
die sie sich im elektronischen Informationsdienst hatte ausdrucken lassen, kannte sie inzwischen auswendig.
    Viele Angebote waren es nicht, obwohl Vera den Computer aller Arbeitsamtsbezirke in der Republik hatte abfragen lassen. Noch am Morgen war sie zuversichtlich gewesen, dass sie etwas finden würde, und sei es im fernsten Mecklenburg. Wer bereit war, einen Ortswechsel auf sich zu nehmen, der würde ganz bestimmt etwas finden. Jedenfalls hatten die Leute im Fernsehen das immer behauptet.
    Erst jetzt wurde ihr klar, dass es auch in Mecklenburg oder sonst wo in den entferntesten Winkeln Deutschlands jede Menge Frauen gab, die händeringend einen Job suchten. Und viele davon waren jung, kamen frisch von der Ausbildung und hatten keine kostbaren Lebensjahre damit verbracht, in einem alten Stadel Kartoffeln und Schnaps zu verkaufen.
    Neben ihr saß eine dickliche Frau mit einem nörgelnden Kind. Warum ist dieses Kind nicht in der Schule, überlegte Vera. Vielleicht muss die Mutter es immer dabeihaben, als Lebensinhalt, als Schutz vor den Behörden, dass man ihr nichts tut und nichts von ihr verlangt, was sie wegen des Kindes dann doch nicht leisten kann. Hör auf, wies sie sich zurecht. Du bist auf dem besten Weg, eine böse alte Frau zu werden.
    Ein jüngerer Mann näherte sich vom Treppenaufgang und sah sich suchend um. Er war unauffällig angezogen, und auf seiner Nase blühte ein rötlicher Pickel.
    Das kommt vom Kantinenessen, dachte Vera.
    Der Mann erwiderte ihren Blick und lächelte unvermutet. Er kam auf sie zu und nahm neben ihr Platz.
    »Sie müssen erst eine Nummer ziehen«, sagte die dickliche junge Mutter.
    »Danke«, sagte der Mann, »aber ich bin wegen etwas anderem hier.« Er beugte sich zu Vera. »Sie sind Vera Vochezer, nicht wahr?«, fragte er halblaut.
    »Ich weiß nicht, warum Sie das wissen müssen«, antwortete sie.
    »Entschuldigung«, sagte er. »Kuttler ist mein Name.« Er
zeigte ihr einen Ausweis. »Ich habe Sie gesucht. Es ist nichts, das Sie beunruhigen müsste. Wir wollen nur wissen, dass Sie okay sind.«
    Vera stand auf und betrachtete Kuttler mit verhaltenem Ärger. Dann nickte sie mit dem Kopf in Richtung einer kleinen Fensternische und ging voraus. Kuttler folgte ihr. In der Nische wandte sie sich ihm zu.
    »Wie haben Sie mich gefunden?«
    »Ihre Freundin hat es mir gesagt«, antwortete Kuttler. »Die Freundin, bei der Sie wohnen. Ich habe in der Bank gefragt, ob sich wer an Sie erinnert. Sie hat sich sofort gemeldet.«
    »Das war nicht recht von ihr.«
    »Sie dürfen ihr keinen Vorwurf machen. Ich habe ihr erklärt, dass es sehr wichtig ist. Und zwar vor allem in Ihrem Interesse. Ihre Freundin hat Ihnen sicher gesagt, dass schon einmal jemand nach Ihnen gefragt hat. Wir wissen nicht sicher, wer diese andere Frau ist. Aber es ist besser, wenn wir in der Nähe sind, falls jemand zu Ihnen Kontakt aufnehmen will.«
    Vera betrachtete ihn kühl. »Ich finde es sehr nett von Ihnen und Ihren Kollegen«, sagte sie schließlich, »dass Sie sich so um mein Wohlergehen bemühen. Aber wahrscheinlich ginge es mir sehr viel besser, wenn mich die Polizei ganz einfach in Ruhe gelassen hätte.«
    Kuttler schwieg. Ein Klingelzeichen schrillte in das Schweigen. Vera sah hoch. »Entschuldigung, aber jetzt ist gerade meine Nummer aufgerufen worden.«
     
    Tamar und die beiden Männer waren alle Stockwerke abgegangen. Im Erdgeschoss wartete Kubitscheks Kollege Rösner auf sie. »Falls Sie noch in den Keller müssen«, sagte Rösner, »bräuchten wir Stablampen. Da ist ein Kurzschluss drin, vermutlich vom Hochwasser.«
    »Vermutlich ist das so«, sagte Tamar. »Und — haben Sie für uns

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