Schwemmholz
mir je in meinem Leben über die Bettdecke getrampelt ist.«
Donnerstag, 15. April
Widerwillig lud Berndorf die Walther P5 durch, nahm die Waffe hoch, die linke Hand auf das rechte Handgelenk gelegt, und zielte auf die rechte Schulter der schwarzen Silhouette. Er versuchte, die Pistole ruhig zu halten, seine Hände zitterten. Er kniff die Augen zusammen und schoss.
Markert, der neben ihm stand, nahm den Ohrenschutz ab und bemühte sich, nicht den Kopf zu schütteln. Von den Schüssen hatte einer die Schulter des Pappkameraden getroffen
und ein zweiter den Oberarm. Die anderen waren Fahrkarten gewesen. »Im Ernstfall wärst du tot, und nicht der andere«, sagte Markert. Mein Job ist es nicht, Leute totzuschießen, dachte Berndorf. Dann fiel ihm der Stuttgarter Amokläufer ein, der mit einem Bajonettmesser zwei Polizisten erstochen und drei schwer verletzt hatte. Einer der Beamten hatte den Mann im Todeskampf erschossen. Sonst hätte es noch mehr tote Polizisten gegeben.
»Vermutlich wäre das so«, gab er Markert zurück. »Aber das hätte ich dir gleich sagen können. Ich mag diese Waffe nicht. Ich mag Waffen überhaupt nicht.«
»Ist das wirklich so?«, fragte Markert. »Du bist doch ein rationaler Mensch. Du solltest dir nichts vormachen. Du hast kein Problem mit der Waffe, sondern mit dir selbst.«
Berndorf blickte Markert prüfend an. Bisher war es seinem alten Freund noch nie eingefallen, ihm psychotherapeutisch zu kommen. »Erklär mir das!«, forderte er ihn auf.
»Du stehst nicht richtig«, antwortete Markert und schaute verlegen zur Seite. »Der Schütze muss mit beiden Füßen fest auf dem Boden stehen. Er muss – entschuldige, wenn das blöd klingt – in sich selbst ruhen. Sich selbst vertrauen. Nur dann bringt er die Konzentration und die Anspannung auf, die er im entscheidenden Augenblick braucht.« Er richtete den Blick wieder auf Berndorf. »Vielleicht ist das aber zu viel verlangt von Leuten, die von Berufs wegen Zweifel haben müssen.«
Berndorf überlegte. »Kann schon sein.«
Zur Dienstbesprechung kam Berndorf einige Minuten zu spät. In dem dunklen altfränkischen Konferenzraum empfing ihn unheilvolles Schweigen. Tamar warf ihm einen warnenden Blick zu. Englin war über das »Tagblatt« gebeugt, Blocher sah ihm zu, zurückgelehnt und selbstgefällig die Arme vor der Brust gekreuzt. Neben Blocher saß Tautka, der Leiter des Dezernats Wirtschaftskriminalität, eines seiner vorquellenden blassblauen Augen war abwartend auf den Konferenztisch gerichtet, das andere plierte zur Seite, als müsse es auf eine imaginäre Fliege achten.
»Schön, dass Sie auch kommen«, unterbrach Englin seine Lektüre und sah zu Berndorf auf. Sein linkes Lid zuckte gereizt.
»Bitte die Verspätung zu entschuldigen«, sagte Berndorf und setzte sich, Blocher gegenüber. »Guten Tag auch allerseits.«
»Dies ist kein guter Tag«, antwortete Englin. »Kein guter Tag für Sie, und leider auch kein guter Tag für uns. Sie haben offenbar diese Zeitung da noch nicht gelesen.« Anklagend wies er auf das »Tagblatt«, Aufmacher und Kommentar waren dick rot und gelb unterstrichen.
Berndorf kannte die Artikel bereits. Der Gerichtsreporter des »Tagblatts«, Frentzel, hatte ihn gestern noch am späten Abend angerufen und ihn vorgewarnt. Der Chefredakteur Dompfaff hatte angeordnet, dass »diesem Kommissar« einmal die Meinung gegeigt werden müsse.
»Hier«, sagte Englin. »Ich les Ihnen nur die knackigeren Sachen vor. Da steht zum Beispiel: ›Zwischen den Zeilen übte der Gerichtsvorsitzende Hagenberg unverhohlen Kritik an der Arbeit der Kriminalpolizei, die keine anderen möglichen Tatverdächtigen überprüft habe.‹ Hinter den Spiegel werden Sie sich das nicht stecken, Kollege Berndorf, oder?«
»Ich frage mich, wie der Richter Hagenberg in einer mündlichen Urteilsbegründung etwas zwischen den Zeilen, aber unverhohlen zum Ausdruck bringen kann«, antwortete Berndorf. »Und was die anderen Tatverdächtigen angeht: da weiß Hagenberg oder das ›Tagblatt‹ mehr als ich. Es hat keine anderen Verdächtigen gegeben.«
»Bitte«, antwortete Englin erregt. »Hier steht etwas anderes.« Er hob die Stimme und las aus Frentzels Kommentar vor: »Insbesondere ist es für Prozessbeobachter unerklärlich, warum Kommissar Berndorf nicht der nahe liegenden Möglichkeit nachgegangen ist, dass der Anschlag auf die italienische Baufirma im Zusammenhang mit einer fehlgeschlagenen Schutzgelderpressung zu sehen ist. Es müsste
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