Schwemmholz
der Mitte. Der Prosecco war kalt gestellt. Zum Essen – Kalbsmedaillons mit Tagliatelle, Rucolasalat mit einem Hauch Knoblauch – würde es einen leichten Roten geben.
Schließlich gab es etwas zu feiern. Wenn alles gut ging, wenn er nur etwas Erfolg haben würde: Dann war ein für alle Mal Schluss mit der Plackerei. Mit den immer gleichen Betrunkenen, die freitagabends ihre Frauen verdroschen. Mit den jungen Männern, deren Überreste man nachts von den Alleebäumen kratzen musste.
Wenn alles gut ging, würde er von der Kriminalpolizei übernommen. Würde dort stehen, wo die Besten stehen. Im Kampf gegen das Verbrechen. Gegen die Mafia. Gegen den internationalen Rauschgifthandel. Vielleicht würde er schon heute Abend einen großen Schritt vorankommen. Vielleicht war auf den Tonbändern bereits der entscheidende Hinweis verborgen und musste nur entschlüsselt werden. Bloß: Bisher hatte er nur Pizza verstanden. Doch Claudia würde ihm helfen. Sie hatte es ihm versprochen.
Es klingelte. Krauser schreckte hoch. Noch einmal sah er sich um und prüfte, ob der Seidenschal in seinem Sporthemd auch richtig saß. Dann ging er zur Sprechanlage.
Langsam stieg die kleine dunkelhaarige Frau die Treppe hoch. Claudia Lehmann stammte aus dem Veneto und war in den Siebzigerjahren nach Deutschland gekommen. In der Auslandsabteilung der Magirus-Werke hatte sie ihren Mann kennen gelernt. Aber der war nun schon sechs Jahre tot. Geblieben war ihr die Witwenrente, dazu kam das bisschen Honorar für die Italienisch-Kurse bei der Volkshochschule.
Schlimm war das Alleinsein, dachte Claudia und strich sich eine Haarlocke aus dem Gesicht. Warum also nicht der gute Alfred? Das Pulver hatte er nicht erfunden, wie man hier sagte. Aber Männer, hatte ihre Tante gemeint, müssen nicht unbedingt intelligent sein. Die Tante hatte Onkel Tommaso aus Rovereto geheiratet. Der war so intelligent gewesen und hatte es fertig gebracht, noch 1943 bei den Faschisten einzutreten.
Das Hochsträß ist eine Hochfläche westlich von Ulm, zwischen Donau- und Blautal gelegen. In einem der Dörfer hatten Tamar und Hannah von einer verwitweten Frau ein kleines Bauernhaus gemietet. Die dazugehörigen Äcker waren schon lange verpachtet und die Bäuerin ins Clarissen-Altenheim in Söflingen gezogen. Zu dem Häuschen gehörte ein verwilderter Bauerngarten mit einem alten Birnbaum.
Tamar stoppte den alten Golf vor der Einfahrt zur Scheune; Hannah stieg aus und öffnete die beiden Tore. Tamar fuhr den Wagen hinein. Eine Stalllampe tauchte die Stützbalken und Bühnen der Scheune in ein ungefähres Licht. Tamar zog den Zündschlüssel ab. Dann blieb sie noch einen Augenblick hinter dem Steuer sitzen. Ohne dass es ihr bewusst wurde, begann sie, mit der rechten Hand ihre Hemdbluse aufzuknöpfen.
»Lässt du das wohl bleiben«, sagte Hannah. Sie hatte die Fahrertür geöffnet und lächelte sie aus dunklen ungleichen Augen an. »Das ist mein Job.«
Das Viertel nördlich des Münsterplatzes wird von kleinen Gassen durchzogen, in denen sich neben den Handwerkern in den letzten Jahren Galerien, Antiquariate und Läden für thailändische Küche, für indische Gewürze und deutschen Krimskrams niedergelassen haben. Anders als im Fischerviertel gibt es in den Kneipen dort kaum Touristen.
Es war schon spät, und in der kleinen Trattoria mit den kaum zwanzig Stühlen saßen nur drei Frauen und steckten ihre Köpfe zusammen, von Zigarettenqualm eingenebelt. Der Wirt stand dösend am Tresen. Aus zwei Lautsprechern tropften die Akkorde eines Jazzpianisten, nachdenklich und schräg; es klang nach Thelonius Monk. Auf der Tür zur Damentoilette hing der Farbdruck einer Madonna mit blutendem Herzen.
Als Berndorf den Vorhang zur Seite schob und eintrat, schien der Wirt, ein mittelgroßer Mann mit einem runden Kopf und einer Drahtbrille, auf einen Schlag hellwach. Er begrüßte
den Kommissar mit gemessener Höflichkeit und bot ihm einen Tisch abseits der Rauchschwaden an. Er kannte Berndorf seit der Geschichte mit der Kosovo-Gang, die versucht hatte, von den Italienern Schutzgeld zu erpressen.
Selbstverständlich könne der Signore noch zu essen bekommen, sagte der Wirt und empfahl Lammkoteletts. Berndorf wollte aber nur einen Teller Spaghetti al pesto. Nach einigem Zögern bestellte er einen halben Liter Barolo dazu. Eigentlich wollte er vom Alkohol die Finger lassen. Wenigstens für eine Weile. Aber irgendwie fehlte der letzte Anstoß dazu. Und in einer solchen
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