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Schwemmholz

Schwemmholz

Titel: Schwemmholz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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sie hätten da einen neuen Star im Schlepptau. Es hat dann nicht lange gedauert, und er ließ sich nichts mehr sagen. Und ehe er begriff, was passierte, war er schon in der Vorrunde zur deutschen Amateurmeisterschaft rausgeflogen. Ein Leberhaken in der dritten Runde, und die Erde hatte ihn wieder. Aber sie gefiel ihm nicht. Er ist dann zum Bund, und ich hab gehofft, dass sie ihm dort den Kopf wieder gerade rücken. Aber der Schwung war weg. Irgendwann hat es dann in Nagold auch so eine dumme Geschichte gegeben, und Stefan saß auf der Straße.«
    Tamar überlegte. Die Zeit, über die Oettinger gesprochen hatte, lag zwölf oder mehr Jahre zurück. Rodeks männliche Groupies müssten jetzt Anfang oder Mitte dreißig sein.
    »Können Sie sich erinnern, wer die jungen Männer mit Geld waren?«
    Oettinger schüttelte den Kopf. »Alle, die nach Geld riechen, riechen gleich. Da ist der eine wie der andere.«
     
    Ächzend rollte der Regionalexpress in den Laupheimer Bahnhof ein, als sei es ihm selbst peinlich, hier halten zu müssen. Berndorf hatte einige Mühe, die Zugtür gegen die Fahrtrichtung
zu öffnen. Der Bahnsteig lag tief unter ihm, eigentlich war es kein Bahnsteig, sondern festgetretener Schotter und Kies. Mühsam ließ er sich hinab. Milliarden verbaut die Bahn, dachte er ärgerlich, schlägt sündteure ICE-Schneisen durch die Landschaft oder vergräbt altehrwürdige Bahnhöfe unter der Erde. Aber für einen Bahnsteig, den man einen solchen nennen kann, fehlt das Geld.
    Es war früher Nachmittag, und außer ihm war nur eine alte Frau ausgestiegen. Er durchquerte den Warteraum und trat auf die Straße hinaus.
    Auf dem Vorplatz stand ein Bus, der Fahrer hatte den Motor abgestellt und las die Bild-Zeitung. Berndorf löste einen Rückfahrschein nach Gauggenried-Kirchplatz und setzte sich zwei Plätze hinter den Fahrer.
    In einem Wohnblock in Wanne-Eickel, so berichtete die Bild-Zeitung, hatte ein Mann seine Frau mit der Elektrosäge in handliche Teile zerlegt, in Plastiktüten eingepackt und in der Tiefkühltruhe im Keller eingelagert. Anschließend war er in den Urlaub nach Mallorca geflogen, und es war alles gut gewesen, bis ein Bagger der Telekom die Hauptstromleitung abriss und das Fleisch in der Tiefkühltruhe durch das ganze Haus zu riechen begann.
    Der Busfahrer hatte zu Ende gelesen, faltete die Zeitung zusammen und startete den Motor.
    Gestern hatte Berndorf, noch aus Sanders Wohnung, den alten Vochezer angerufen und sich zu einem Kaffee eingeladen; er habe in Biberach zu tun, hatte er gelogen, und würde gerne am Nachmittag nach seinem Leidensgefährten sehen. Vochezer hatte zwar weniger erfreut als vielmehr überrascht geklungen, aber darauf kam es jetzt nicht an.
    Worauf kam es denn überhaupt an? Plötzlich fiel er in Trübsal. Sander hatte irgendwann in den Achtzigerjahren und vermutlich aus Zufall und Versehen ein junges Mädchen fotografiert, das er – Berndorf – 12 oder 13 Jahre später wieder zu erkennen glaubte. Was hatte das mit dem Verschwinden Sanders zu tun? Nichts hatte es zu tun, der Langweiler war vermutlich
nach Thailand geflogen, um dort Kinder zu ficken, wie das ganze Flugzeugladungen deutscher Touristen auch taten. Und wenn es nicht so war, so hatte es noch immer nichts zu tun mit den Rechnungen, die Berndorf offen hatte, mit dem Brandanschlag in Wiesbrunn, dem Mord an Veihle, dem Anschlag auf ihn selbst.
    Aber was hätte er sonst tun sollen? Nach dem Frühstück war er bei einer Krankengymnastin gewesen, die ihm das linke Bein angespannt und hochgedrückt und wieder entspannt hatte. Das war schmerzhaft, hätte sich aber aushalten lassen, wäre nicht das muntere Geplauder der rundlichen Frau gewesen. Als das überstanden war, gähnte ihm ein leeres Wochenende entgegen, begleitet und erhellt allenfalls von Lichtenberg und der Aussicht auf ein Telefongespräch mit Barbara.
    Was also sprach dagegen, den alten Vochezer zu besuchen und – wenn es sich nicht umgehen ließ – einen Schnaps mit ihm zu trinken? Nichts sprach dagegen, dachte Berndorf und lehnte sich zurück, die eine Hand auf der Krücke. Frühlingsnass und satt von Grün zog Oberschwabens stille Landschaft an ihm vorbei, zwischen Hügeln mit bewaldeten Kuppen tauchten Zwiebeltürme auf und verschwanden wieder, der Bus hielt vor Gehöften und vor Schulhäusern mit Walmdächern, Frauen mit Einkaufstaschen stiegen ein und wieder aus, in einem Ort, der auf irgendwas und -weiler hörte, schaffte sich ein alter Mann mit einem

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