Schwemmholz
Wohnung genommen, um die alten Leute rauszuekeln.«
»Wir müssen mehr über die Explosion wissen, und wie es dazu gekommen ist«, antwortete Tamar. »Übrigens hat mich was anderes gewundert. Wieso will Englin, dass wir diese Sache bis zum letzten Fitzelchen aufklären? Irgendwie sieht ihm das nicht gleich. Nicht bei solchen Leuten wie Welf.«
»Er hat auch kein Wort davon gesagt«, antwortete Kuttler vergnügt. »Aber wenn es ihm einer vorhält, wird er es genau
so gesagt haben wollen. Energisch. Zupackend. Durchgreifend.« Und jedes Mal kniff er kurz das Auge zusammen.
»Kuttler«, sagte Tamar und richtete sich auf, »du hast das einfach erfunden?«
»Wer sonst, Chefin?«, antwortete Kuttler und grinste stolz. Sie hatte ihn zum ersten Mal geduzt.
Es klopfte an der Tür, und der Mann vom Landeskriminalamt trat ein. Er hatte seinen Mantel an und wollte sich auch nicht setzen, als ihm Kuttler einen Stuhl anbot. Er fahre jetzt gleich nach Stuttgart zurück, erklärte er. »Ich hab mein Material so weit zusammen, aber es gefällt mir noch immer nicht.«
Dann sah er sich um und griff sich dann doch einen Stuhl. »Sie haben mir gesagt«, – die Frage richtete er an Tamar – »dass dieser Tote ein entlassener Strafgefangener war, aber mehr eine Art Stadtstreicher als ein Krimineller?« Tamar nickte.
»Ich würde einfach zu gerne wissen«, fuhr der Mann fort, »wie ein Penner an ein Handy kommt. Und wozu er es braucht.«
»Moment«, sagte Kuttler. »Da war was mit einem Handy. Und zwar nicht bei uns. Ich hab es auf dem Tagesbericht der Bahnhofswache gelesen. Sie schicken uns immer einen Durchschlag rüber.« Er stand auf. »Ich geh ihn holen. Aber ich bin mir ziemlich sicher. Da ist gestern Nachmittag einem Schwulen auf dem Bahnhofs-Scheißhaus das Handy abgenommen worden.« Er schaute zu Tamar. »Es ist mir gleich aufgefallen. Der Kerl, der es gemacht hat, wollte nicht die Brieftasche und nicht den Geldbeutel. Er wollte nur das Handy.« Kuttler ging.
»An manchen Tankstellen wird darum gebeten, kein Handy zu benutzen oder einzuschalten«, sagte der LKA-Experte zu Tamar. »Sie haben sicher schon einmal ein solches Schild gesehen. Vor allem die Amerikaner sind hier sehr vorsichtig. Und in Labors, in denen die Leute mit hochexplosiven Substanzen arbeiten, dürfen nur besonders gesicherte Telefone benutzt werden. Trotzdem . . .« Er schüttelte den Kopf.
Tamar schaute ihn ungläubig an. »Heißt das, dass diese Gasexplosion womöglich durch ein Handy ausgelöst worden ist?«
»Es hat noch nie einen solchen Fall gegeben«, antwortete der Experte. »Jedenfalls habe ich noch von keinem gehört. Ein Gemisch aus Luft und Erdgas entzündet sich auch nicht so ohne weiteres. Und ob ein Handy, bei dem ein Anruf aufläuft, dafür ausreichend Energie abruft, erscheint mir äußerst fraglich. Nur kann ich es auch nicht ausschließen.« Er sah Tamar ratlos an. »Ich sagte Ihnen ja, die Sache gefällt mir nicht, überhaupt nicht.«
Freitag, 28. Mai
Die junge Frau sah sich suchend in der Schalterhalle um, als sei sie zum ersten Mal hier. Die Schalterhalle war erst vor kurzem in jenem Stil umgebaut worden, den die Architekten Service-orientiert nennen. Jetzt gab es nur noch für die Kasse einen eigenen Schalter, und die übrigen Angestellten irrten verloren zwischen den Eingabegeräten herum, an denen die Kunden sich selbst bedienen sollten.
Die Frau trug einen schwarzen Rock und über einer nur ganz leicht durchscheinenden Seidenbluse eine so unauffällige Lederjacke, dass sie schon wieder sehr teuer aussah. Sie hatte kurzes dunkles Haar und ein kluges, waches Gesicht.
Eine der Bankangestellten wurde aufmerksam und kam auf sie zu. Ob sie ihr helfen könne?
»Nein. Ja«, antwortete Judith Norden und lächelte rasch. »Ich wollte ein Konto bei Ihnen eröffnen. Ein Sparguthaben.« Sie holte ihren Reisepass aus der Handtasche und einen Umschlag, in dem sie offenbar das Geld hatte. Die beiden Frauen gingen zu einem der Desks, an denen man im Stehen schreiben oder den Bankcomputer bedienen konnte.
Die Angestellte, eine Frau Mitte dreißig, nahm den Reisepass und übertrug die Angaben in ein Formular.
»Sie sind Architektin?«, fragte sie.
»Ja«, antwortete Judith und sah sich in der Schalterhalle um. »Aber das hier hätte ich nicht so umgebaut.«
»Ach, da bin ich Ihnen direkt dankbar, dass Sie das sagen«, meinte die Angestellte. »Wir finden es auch ganz schrecklich.« Dann fragte sie, wieviel auf das Konto eingezahlt
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