Schwemmholz
Stock den Einstieg hoch und nickte grüßend zu Berndorf und seiner Krücke hin.
Gauggenried war ein Bauerndorf mit breit hingelagerten Höfen und einer weiß und rosa und golden angemalten Barockkirche. Berndorf stieg aus und blieb vor der Friedhofsmauer stehen. In einem Schaukasten, der in die Mauer eingelassen war, hing ein Plakat der Staatspartei. Es roch nach nassem Grünschnitt, nach Kuhscheiße und Silage. Vochezer hatte ihm erklärt, dass er nach der Kirche rechts einen kleinen Fußweg nehmen solle. Der Weg führte an sorgsam angelegten Bauerngärten mit Salatbeeten und Beerensträuchern vorbei. Erste Iris ließen regennasse Blüten hängen.
Vochezers Haus war ein Fachwerkbau mit rot gestrichenen Balken und geweißeltem Mauerwerk. Es hatte die hölzernen Fenstersprossen, zu denen die Kreisheimatpfleger den Bauern zuredeten wie einer kranken Kuh. Weiter hinten im Hof stand ein hölzerner Stadel. Über dem halb geöffneten Tor hing ein sorgfältig gemaltes Schild mit weißer Schrift auf blauem Grund: »Obst, Salate, Gemüse aus biologischem Anbau«. Der Hof war gekiest und sah frisch geharkt aus.
Er ging zur Haustür, neben der zwei Klingelschilder angebracht waren: »E. Vochezer« stand auf dem einen, »Wilhelm u. Vera Vochezer« auf dem anderen. Er drückte den zweiten Klingelknopf, und fast sofort hörte er leichte Schritte und die Haustür wurde geöffnet. Ihm gegenüber stand die junge Frau mit den sorgenvollen Augen, Vochezers Schwiegertochter.
»Entschuldigen Sie«, sagte Berndorf, »ich wollte zu Ihrem Herrn Schwiegervater, aber vielleicht hat er sich hingelegt, und da wollte ich erst einmal Sie fragen, ob ich ihn auch nicht störe.« Die Frau mühte sich um ein Lächeln. Sie tat sich nicht leicht damit. »Sie stören nicht, wir erwarten Sie schon.« Sie wollte ihm die Hand geben, dann zog sie sie verlegen zurück. »Entschuldigen Sie, aber ich hab gerade Salat geputzt.«
Sie ging ihm durch einen mit großen Steinplatten ausgelegten Flur voran. Sie ist wirklich das Mädchen auf dem Foto, dachte Berndorf. Er hatte es an ihrem Lächeln gesehen, oder genauer: an der Verlegenheit darin.
Sie kamen in ein Wohnzimmer, das noch wie eine Bauernstube eingerichtet war, mit einem richtigen Tisch und richtigen Stühlen, einer Anrichte und einem Sofa. An der Wand gegenüber der Tür hing ein großes, einfach gerahmtes Landschaftsbild, Hügel und Äcker in schweren erdigen Farben unter einem drückenden dunklen Himmel, Berndorf tippte auf einen ahnungsvollen Kunststudenten des Jahres 1932.
Vom Sofa stemmte sich Eugen Vochezer hoch, den linken Arm mit Hilfe einer Stützschiene angewinkelt. Das sei aber eine Ehre für ihn, sagte er, Berndorf solle sich nur gleich hersetzen, und wie es ihm denn gehe? »Ach, was frag ich dummer
Mensch! Du kannst ja schon wieder laufen wie ein junger Hupfer.« Ihm selber gehe es, »ach Gott, frag mich nicht!« Er wolle ja nicht klagen, das sei nicht recht, aber der Arm sei doch arg steif. »So ein krummer alter Baum wird nimmer grad.«
Dann wollte er wissen, ob ein Schnaps gefällig wäre, und nickte seiner Schwiegertochter zu: »Holst du uns einen? Aber den aus dem hinteren Fach.« Vera Vochezer zögerte und warf einen besorgten Blick auf ihren Schwiegervater, so, als ob er ein wenig zu oft nach der Flasche verlange, sei sie nun aus dem vorderen oder aus dem hinteren Fach. Dann tat sie aber wie geheißen. Es gehört sich nicht, dachte Berndorf, dass man dem Schwiegervater widerspricht, wenn Besuch da ist.
Der Schnaps war wasserhell. Aber aus den kleinen Gläsern, die Vera Vochezer halb voll schenkte, stieg der Geruch von Birnen und Herbst. Berndorf fand, es wäre eine Sünde gewesen, abzulehnen.
Vera war wieder in die Küche gegangen, und der alte Vochezer berichtete, was sich im Krankenhaus getan hatte, nachdem Berndorf entlassen worden war. Zwischen dem Oberarzt und einem der Assistenzärzte hatte es einen Krach gegeben, weil der Assistenzarzt im Operationsplan ein fünfjähriges Kind mit gebrochenem Schienbein mit einer 88-Jährigen verwechselt hatte, die eine neue Hüfte bekommen sollte: »Der Oberarzt hat geschrien, dass man es in der ganzen Station gehört hat.« Und die Blonde mit den porzellanblauen Augen würde ein Kind bekommen, die anderen Schwestern behaupteten, es sei ihr gar nicht recht. Aber so sei das im Leben, »die einen warten auf etwas und bekommen es nie, und den anderen läuft es zu und sie täten es am liebsten gleich wieder weg.«
Die Regenwolken
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