Schwemmholz
mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand die Nasenwurzel. »Also gut. Versuchen wir es noch einmal. Ich bin Architekt und Unternehmer. Es ist für mich eine Überlebensfrage, dass keine Zweifel an meinem Geschäftsgebaren aufkommen. Als ich gehört habe, dass das alte Ehepaar Ärger mit diesem einen Mieter bekommen hat, habe ich den Mann sofort zurechtgewiesen. Ich habe ihm unmissverständlich klargemacht, dass ich ihn hinauswerfe, wenn er zu den alten Leuten nicht höflich ist. Und danach habe ich sogar mein Büro bei dem Ehepaar Skrowonek nachfragen lassen, ob es noch Grund zu Klagen gibt.«
»Und?«
»Da war nichts mehr. Er benehme sich ausgesprochen höflich, hieß es.«
Simpfendörfer meldete sich zu Wort. »Mein Mandant hat ausgesprochen verantwortungsbewusst gehandelt. Er hat einem Menschen zu einer Unterkunft verholfen, der ein Problem mit seiner sozialen Akzeptanz hatte. Das ist verdienstvoll.« Anklagend richtete er einen dicklichen Zeigefinger auf Tamar. »Gerade der Polizei müsste das einleuchten.«
Berndorf stand am Fenster des kleinen Arbeitszimmers und massierte sich den Nacken. Es hatte wieder zu regnen begonnen, über Felder hinweg sah er auf die Bundesstraße 30 und auf die Lastwagen, die sich in dichter Folge durch die Regenschauer schoben, als wollten sie den ganzen mittleren Neckarraum auf die Deponie Lettenbühl verfrachten. Glaubte man den Behörden, dann würde das noch über zwanzig Jahre so gehen. Denn die Deponie war auf eine Laufzeit bis zum Jahre 2020 ausgelegt. So jedenfalls stand es im Planfeststellungsbeschluss.
Auf dem Telefon waren nur die beiden Kurzwahlnummern gespeichert. Hartmut Sander, der langweilige, penible Beamte, war und blieb verschwunden. Er war in nichts verstrickt, was auch nur von ferne nach einem Abenteuer ausgesehen hätte, weder nach einem des Herzens noch einem des Geldes. Aber irgendetwas hatte ihm dieser Mann damals sagen wollen.
Berndorf wandte sich zum Gehen. Sein Blick streifte eines der gerahmten Schwarzweißfotos. Es hing neben dem Schreibtisch an der Wand. Das Bild zeigte ein Mädchen mit wehenden langen Haaren, das an einer Hauswand entlangging, das Gesicht im Halbprofil aufgenommen. Auf die Wand war ein Graffiti gesprüht: Fürchtet euch, wenn sie euch sagen, es gebe nichts zu fürchten.
Berndorf erinnerte sich. Das Graffiti war an einer Hauswand in der Nähe der katholischen Stadtpfarrkirche. Vielleicht war es in der Zeit der Menschenkette entstanden, als gegen die Pershing-Raketen demonstriert wurde. Wie lange war das her? 14, 15 Jahre. Noch lange danach hatte man den Spruch dort lesen können.
Wie zum Abschied betrachtete Berndorf das Mädchen auf dem Bild. Es schien, als blicke es ernst, fast abweisend zu dem Fotografen hin; es hatte ein blasses, volles Gesicht. Keine Schönheit, aber anmutend. Berndorf musste an das Brecht-Gedicht von der stillen bleichen Liebe denken:
Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer
Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind . . .
Plötzlich atmete er scharf durch. Dann schaute er noch einmal auf die Fotografie. Es gab keinen Zweifel.
Diese Frau hatte kein siebtes Kind.
Sie hatte überhaupt keines.
Und wenn da etwas blühte, waren es Birnbäume. Während er zum Telefon ging, holte er aus seiner Brusttasche sein Notizbuch mit den Adressen und Telefonnummern.
Welf hatte seine Drahtbrille wieder aufgesetzt. Abwartend betrachtete er Tamar.
»Ich verstehe«, sagte die Kommissarin. »Sie setzen sich für Randgruppen ein. Wie schön. Trotzdem hätte ich gerne von Ihnen geklärt, wer Ihnen diesen Mieter vermittelt hat.«
Welf zuckte die Schultern. »Ich werde nachfragen.«
»Moment«, sagte Simpfendörfer. »Ich verstehe nicht, welchen Ermittlungen das dient. Wenn ich alles richtig verstanden habe, hat dieser Mieter die Gashähne aufgedreht. Sehr bedauerlich. Aber seit wann können Sie einen Vermieter für den Selbstmord eines Mieters verantwortlich machen?«
»Woher wissen Sie, dass es dieser Mieter war, der die Gashähne aufgedreht hat?«, fragte Tamar. »Wir wissen das nämlich nicht. Und solange wir das nicht wissen, müssen wir allen Unklarheiten nachgehen.« Sie lächelte Welf scharfzähnig an. »Ich höre also noch von Ihnen.« Achselzuckend stand Welf auf. Simpfendörfer folgte. Beide verabschiedeten sich mit einem knappen Kopfnicken und gingen. Kuttler begleitete sie zur Tür und schloss sie hinter ihnen. Dann sah er Tamar an.
»Aber ganz gewiss hat er diesen Tanko in die
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