Schwere Schuld / Der Wächter meiner Schwester - Zwei neue Romane in einem Band
zweites Heineken vor sich, aber seinen dritten Teller Chicken Wings, und er fragte sich, ob sie wohl auftauchen würde. Am Telefon hatte sie nicht besonders begeistert geklungen, aber wer konnte ihr das schon zum Vorwurf machen? Sie waren nicht über ein paar Monate gelegentlicher Verabredungen und zwei bedeutungslose Sprünge in die Kiste hinausgekommen.
Außerdem war der Anruf, wie er erklärt hatte, geschäftlicher, nicht persönlicher Natur.
Eine wohlproportionierte Blondine näherte sich seinem Tisch. Hochgewachsen. Wie Marge Dunn. Schmaler, mit Fohlenbeinen - ein Körper, zu dem der Minirock eindeutig passte. Aber anders als bei Dunn war dieses Gesicht erschöpft, und Verzweiflung zog die Augen nach unten. Barnes war nicht in der Stimmung, für eine andere verwundete Seele den Psychotherapeuten zu spielen.
»Suchen Sie ein wenig Gesellschaft?«
Barnes lächelte und schüttelte den Kopf. »Leider bin ich hier mit jemandem verabredet.«
»Ein andermal?«, schlug sie vor.
»Das Leben ist lang.«
Die blonde Frau wusste nicht genau, wie sie das interpretieren sollte. Sie ging mit einem übetriebenen Hüftschwung davon, und einen Moment lang fragte sich Barnes, ob es richtig gewesen war, ihr eine Abfuhr zu erteilen.
Seine Grübeleien wurden unterbrochen, als er Jane an der Tür entdeckte. Er stand auf und winkte sie herüber. Sie war für das Mama’s viel zu fein angezogen: ein maßgeschneiderter schwarzer Hosenanzug, ein saphirblauer Seidenschal, den sie wie eine Kette um den Hals trug, mit hauchdünnen
Rändern, die in der Wildheit der tanzenden Körper schimmerten.
Sie schritt vorsichtig in spitzen, hochhackigen schwarzen Stiefeln über das Sägemehl, eine übergroße schwarze Tasche über der Schulter, die möglicherweise aus Krokodilleder war. Sie hatte ein langes Gesicht und lange Zähne, aber ihre elegante Haltung und ihr üppiger Körper bewahrten sie davor, pferdeähnlich zu wirken. Ihr pechschwarzes Haar war glatt und dick und floss ihr über die Schultern wie ein Ölteppich. Sie kam zu ihm und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Wange. Ihre Augen waren von einem sanften Blau und rot an den Rändern.
»Vielen Dank, dass du so kurzfristig kommen konntest«, sagte Barnes.
Sie schaute den Stuhl an, wischte den Sitz mit einer Papierserviette ab und setzte sich. »Konntest du nichts Besseres als diese Spelunke finden?«
»Sie liegt auf dem Weg nach Sacramento.«
»Vielen Dank, und ich weiß das zu würdigen, aber ein paar gute Restaurants liegen da ebenfalls, Will.«
»Mir gefällt die Musik. Wie wär’s mit ein paar Chicken Wings und einem Bier?«
»Wie wär’s mit keinen Chicken Wings und einem Scotch?«
»Das können wir machen.« Barnes winkte die Kellnerin herbei und bestellte einen Dewar’s auf Eis.
Jane griff in ihre Tasche und holte eine Packung Zigaretten heraus. »Du warst schon immer eine Art Cowboy.« Sie zündete sich eine an und stieß eine Rauchwolke aus. »Was war denn jetzt so dringend, dass es nicht warten konnte?«
»Ich spreche derzeit mit ungefähr jedem, der Davida kannte, und du kanntest sie sehr gut.«
Jane zuckte die Achseln. »Und?«
»Was kannst du mir über sie sagen?«
Ihre Augen wurden feucht. »Sie war ein bemerkenswerter Mensch. Sie setzte sich für die Sachen ein, an die sie glaubte, fühlte sich in ihrer Haut sehr wohl. Ich habe sie so sehr bewundert, dass ich immer noch nicht glauben kann …«
Sie begann zu weinen. Barnes war sofort mit einer Serviette zur Hand, aber sie entschied sich dafür, ein Papiertuch aus ihrer exotischen Ledertasche zu holen. Sie putzte sich die Nase und tupfte sich die Augen ab, als die Kellnerin das Glas vor sie hinstellte. Barnes bezahlte den Scotch und schob Jane das Glas näher hin. Sie nippte daran, nahm noch einen zweiten Schluck. Der halbe Whiskey war verschwunden, bevor sie die Unterhaltung wieder aufnahm.
»Ich habe heute Nachmittag mit Lucille gesprochen. Sie und meine Mom sind gute Freundinnen.«
»Wie du und Davida.«
Jane lächelte. »Die zweite Generation … Jedenfalls macht die arme alte Frau eine schlimme Zeit durch. Ich werde die Nacht bei ihr verbringen … Ich will nicht, dass sie alleine ist.«
»Das ist wirklich nett von dir, Jane.«
»Ich dachte sogar daran, eine Zeitlang bei ihr einzuziehen … nur bis …«
Barnes wartete auf mehr.
»Ich weiß nicht, was ›nur bis‹ bedeutet«, sagte Jane. »Sie ist nicht mal meine Mutter, und ich spüre trotzdem das Bedürfnis, mich um sie zu kümmern.
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