Schwere Schuld / Der Wächter meiner Schwester - Zwei neue Romane in einem Band
erwartet.«
»Außerdem war er fett und hatte Schuppen«, sagte Baker. »Jetzt sagen Sie mir, woran er gestorben ist.«
»Durchtrennte Halsschlagader, Ausblutung und anschlie ßender Schock«, erwiderte die Pathologin. »Worauf ich hinauswollte, Baker, er hatte vermutlich nicht mehr lange zu leben, so oder so.«
6
Um neunzehn Uhr dreißig kehrten sie zum Tatort zurück. Im nachlassenden Tageslicht, ohne Lärm und künstliche Beleuchtung, sah der Schauplatz des Mordes sogar noch deprimierender aus. Die Fußabdrücke der vergangenen Nacht waren fast verschwunden, eingeebnet vom Tau. Aber Streifen rostigen Brauns waren immer noch auf den Gräsern zu sehen. Frische Hundescheiße war wenige Zentimeter vom Fundort der Leiche entfernt deponiert worden, weil der Köter die Grenzen des gelben Absperrbandes missachtet hatte.
Warum sollte das Leben nicht weitergehen?
Als ihnen um zwanzig Uhr dreißig der Magen in den Kniekehlen hing, gingen sie zurück zu Jack’s Bar-B-Que, nicht nur des Essens wegen, sondern auch weil sie hofften, dass sich irgendjemand an irgendetwas erinnerte.
Baker bestellte geräuchertes Hähnchen.
Lamar bat um die Schweineschulter Tennessee, und als das Essen kam, sagte er: »Es ist wie ein primitiver Ritus.«
Baker wischte sich den Mund mit einer bügelfreien Serviette ab. »Was meinst du?«
»Ich esse, was Jack gegessen hat, als könnte dadurch sein Karma auf uns übertragen werden.«
»Ich will sein Karma nicht. Isst du die ganzen Zwiebeln?«
Sie wischten sich das Kinn ab und fuhren zum T House weiter. Die Eingangstür stand offen, aber von der Straße aus sah der Club leer aus.
Das Innere war ein düsterer, mit Sperrholzpaneelen verkleideter Raum mit einem welligen Kiefernboden und nicht zueinander passenden Stühlen, die man an kleine runde, mit Wachstuch bedeckte Tische gestellt hatte, während ein paar Bilder von Bands und Sängern schief an der Wand hingen.
Nicht ganz leer; drei Stammgäste, alle jung, abgemagert, missmutig, die Tee tranken und irgendwelche appetitzügelnden Kekse aßen.
Aus der zu lauten Anlage kamen Big and Rich und baten Frauen, auf ihnen zu reiten.
Hinter einer behelfsmäßigen Bar trocknete ein Bursche in schwarzem Hemd mit Stachelhaaren nicht zueinander passende Gläser ab. Während die Detectives im Eingang standen, warf er einen kurzen Blick in ihre Richtung, bevor er seine Arbeit wieder aufnahm.
Nicht neugierig, was sie hier machten. Was wahrscheinlich bedeutete, dass Jeffries nicht hier gewesen war.
Sie betraten trotzdem das Lokal und schauten sich um. Keine Spirituosenlizenz, nur Bier und Wein, und eine dürftige Auswahl davon. Auf einer Schiefertafel links von den Flaschen waren zwei Dutzend Teesorten aufgelistet.
»Oolong ist eine Sache, aber unfermentierter Weißer klingt illegal«, murmelte Lamar.
Baker sagte: »Sieh dir das an.« Er wies mit dem Kopf zur Rückseite des Raums, wo eine Bühne sein sollte. Keine Plattform,
kein Schlagzeug oder sonst irgendwas, das auf Live-Entertainment schließen ließ.
Noch ein Typ ganz in Schwarz fummelte an Karaoke-Geräten herum.
»Können die niemand engagieren, der live singt?«, fragte Lamar. »Der Large Pizza Blues ist gerade noch etwas trauriger geworden.«
Er bezog sich auf den alten Klimperer-Witz: Was ist der Unterschied zwischen einem Musiker aus Nashville und einer großen Pizza? Eine große Pizza kann eine vierköpfige Familie satt machen.
In dieser Stadt war es so leicht wie ein Lidschlag, jemanden für wenig Geld zum Spielen zu bekommen, aber der Mensch, dem dieses Lokal gehörte, hatte sich für einen Computer entschieden. Jemand stellte Big and Rich leiser. Eine junge Frau, die eine Kellnerinnenschürze über einem roten Top trug, kam hinten aus einer Tür, fragte alle drei Teetrinker nach ihren Wünschen, goss eine Kanne voll und ging zu dem Karaoke-Typ hinüber. Er hielt ihr ein schnurloses Mikro hin. Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab, band sie los und legte sie auf die Theke. Sie löste einen blonden Pferdeschwanz, lockerte ihre Haare, zeigte dem fast leeren Raum lächelnd die Zähne und nahm das Mikrofon.
In dem Raum wurde es still. Das blonde Mädchen wackelte, eher aus Nervosität als um sexy zu erscheinen. Sie sagte: »Dann wollen wir mal«, und tippte gegen das Mikro. Bumm bumm bumm. »Eins zwei drei … okay, Leute, wie geht’s euch denn heute Abend.«
Zwei der Teetrinker nickten.
»Irre, mir auch.« Extrabreites Lächeln. Ein hübsches Mädchen, zwanzig,
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