Schwere Schuld / Der Wächter meiner Schwester - Zwei neue Romane in einem Band
nun für Barnes?
Er warf einen Blick auf Amanda. Die Frau war mit einem Multimillionär verheiratet und ging auf die vierzig zu, aber sie war schön, klug, lustig und hätte als Jungakademikerin durchgehen können. Falls man sich die Designerklamotten wegdachte.
Sie war unter einem Glücksstern geboren. Er verspürte einen kurzen Anfall von Neid, bevor er sich wieder dem verschlossenen Gesicht Lucille Graysons zuwandte, die mit leerem Blick nirgendwohin sah.
Sie hatte beide Kinder verloren. Was war er nur für ein Trottel, sich über solche Belanglosigkeiten Gedanken zu machen.
Auf der anderen Seite der Tatort-Absperrung beantwortete der Captain immer noch Fragen der Reporter. Das war gut, weil es die Aufmerksamkeit von Lucille ablenkte.
Amanda bemerkte, dass er die alte Frau musterte. »Hättest du sie wiedererkannt?«
»Sie sieht älter aus, aber nicht viel älter. Ich glaube, Frauen ihrer Generation haben sich nicht so schick angezogen - vielleicht sollte ich besser sagen, altersgemäß. Mann, ich hätte gern einen Nickel für jede Frau über fünfzig, die ich in einem Minirock rumlaufen sehe.« Barnes zog die Augenbrauen hoch. »Nicht, dass ich mich beklage.«
Amanda ließ ihm diese Bemerkung an der Grenze zum Anzüglichen durchgehen. Jeder leistete auf seine Weise Trauerarbeit.
Die beiden Detectives gingen auf Lucille Grayson zu, aber bevor sie sich namentlich vorstellen konnten, tauchte Ruben Morantz aus der Menschenmenge auf und trat dazwischen, reichte der gebrechlichen Frau seine Hand und sprach ihr sein Beileid aus.
Vielleicht war es sogar aufrichtig, überlegte Barnes. Der Bürgermeister von Berkeley kannte Davida Grayson seit Jahren und hatte mit ihr in mehreren Ausschüssen zusammengearbeitet. Obwohl sie ihre Auseinandersetzungen gehabt hatten, hatten sie auch gemeinsam Siege errungen. Morantz war schlank und machte mit seinem schmalen Oberkörper und seinen abfallenden Schultern einen sanften Eindruck. Auf den ersten Blick wirkte er harmlos, aber die unruhigen braunen Augen, das blendend weiße Lächeln und die ewige Sonnenbräune offenbarten den Politiker par excellence.
Morantz trug ein langes schwarzes Jackett, ein weißes Hemd, eine goldene Krawatte und eine hellbraune Hose. Spitze Cowboystiefel aus Eidechsenleder ragten unter dem Aufschlag seiner Hosenbeine hervor. Während er mit Lucille sprach, schaffte es Barnes, Donnie Newell auf sich aufmerksam zu machen. Donnie entschuldigte sich und kam zu ihnen.
»Du siehst gut aus, Willie. Ich glaube, das Klima bekommt dir.«
»Du siehst selber auch nicht so schlecht aus.«
»Der Bauch ist ein bisschen dicker. Und der Kopf ein bisschen grauer.«
»Das ist der Lauf der Zeit.« Barnes stellte Don und Amanda einander vor und blickte wieder zu der alten Frau hinüber. »Die arme Lucille. Ich weiß nicht, wie sie sich auf den Beinen hält.«
»Sie ist zäh, aber man fragt sich doch, wie viel selbst eine zähe Frau ertragen kann - seine eigenen Kinder zu überleben ist wirklich ein schwerer Schlag.«
Der Bürgermeister führte Lucille Grayson zurück zu der Limousine, in die beide einstiegen.
Amanda musterte Newell. »Wie gut kennen Sie Mrs. Grayson?«
»Davida bat mich darum, von Zeit zu Zeit bei ihr reinzuschauen.« Newell lächelte Amanda an. »Ich sollte Sie wohl auf den neuesten Stand bringen. Davida und ich waren auf der Highschool ein Paar. Sie hat sich in ihrem letzten Jahr als Lesbierin geoutet, aber ich hatte schon lange vorher den Verdacht, dass irgendwas nicht stimmte. Sie … na ja, sie experimentierte gern, besser kann ich es nicht ausdrücken. Das machte mir nichts aus. Ich hatte mehr Spaß mit dem Mädchen. Sie war ein Knaller, sie und ihre beste Freundin, Jane Meyerhoff - ich kann Ihnen nicht sagen, welchen Nachnamen sie in ihrer letzten Ehe hatte. Keine Ahnung, ob ich ihn überhaupt je wusste, sie hatte so viele. Ich habe gehört, dass die letzte Scheidung wirklich unerfreulich war.« Newell wandte sich an Barnes. »Janey wohnt jetzt hier, oder?«
Barnes nickte. Er wusste alles über Janey, weil er sie in einer Bar aufgegabelt hatte, und sie waren ein paarmal miteinander ausgegangen. Janey war weniger ein Knaller als vielmehr ein Vulkan. »Hast du die Akte mitgebracht, Donnie?«
Newell hielt einen braunen Umschlag hoch. »Hab mir die Brüder Nutterley mal näher angesehen. Meiner Ansicht nach stehen diese beiden Jungs eine Stufe unterhalb vom Neandertaler, aber das heißt nicht, dass sie nicht gefährlich sind. Dumm und
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