Schwere Wetter
ist das?« Hundertmarck
versuchte, seiner Stimme einen desinteressierten Anstrich zu geben.
»Das ist das
zweite Mordopfer. Zunächst haben Sie die Polizei gerufen, weil sich McCormick
für Ihren Firmensitz interessierte. Kurz darauf wurde er im Nord-Ostsee-Kanal
ertränkt.« Lüder unterließ es, seine Theorie vom Waterboarding zu erwähnen.
»Das sind
merkwürdige Zufälle, aber … Was soll das mit uns zu tun haben?«
»Das versuche ich
herauszufinden.«
»Ich fürchte,
Ihnen dabei nicht weiterhelfen zu können«, sagte Hundertmarck.
»Sie kennen Dolf
Waldow?«
»Flüchtig. Er ist
auch in der Informationstechnologie involviert.«
»Wu Zang Tian ist
bei Ihnen beschäftigt.«
Der
Geschäftsführer sah Lüder überrascht an. »Woher kennen Sie die Namen unserer
Mitarbeiter?«
Lüder lächelte.
»Wir sind die Polizei. Nennen Sie mir bitte noch den Namen des Mitarbeiters,
den ich eben im Gespräch mit Wu Zang gesehen habe.«
»Was weiß ich, wer
das sein soll.« Hundertmarck klang entrüstet. »Wir haben hier Mitarbeiter aus
aller Herren Länder. Unsere Branche ist weltweit vernetzt. Da gibt es keine
Grenzen. Weder technologisch noch in den Köpfen unserer Mitarbeiter.«
»Wenn es Ihnen
sympathischer ist, gehe ich zu Ihren Mitarbeitern und lass mir die Ausweise und
Pässe zeigen. ›Hallo, hier ist die Polizei.‹ Gefällt Ihnen das besser?«
Hundertmarck
schüttelte missbilligend den Kopf. »Methoden sind das. Da bemüht sich die
Menschheit, global zu denken und zu handeln, und bei Leuten wie Ihnen gibt es
Grenzen im Kopf.«
»Och«, sagte
Lüder. »Wenn es um Menschen geht, die durch Mörderhand ihr Leben lassen
mussten, denke ich in sehr engen Grenzen. Die sind nicht viel weiter als die
Mauern, hinter die wir die Täter bringen werden.«
»Wir haben
Mitarbeiter aus vielen Nationen.«
»Mich interessiert
der Mitarbeiter aus dem arabischen Raum.«
»Sind das
Vorurteile? Nur weil jemand von dort kommt, gilt er als verdächtig?«
»Wessen
verdächtig?« Lüder hatte bei seiner Gegenfrage die gleiche Schärfe in seiner
Tonlage, die Hundertmarck verwandt hatte.
»Das würde ich
auch gern wissen. Meinen Sie Mahmud al-Rahman? Der stammt aus Jordanien und ist
ein hoch qualifizierter Mathematiker. Ich bin froh, dass wir ihn für unser
Unternehmen gewinnen konnten.«
»Mathematiker?«
»Unser
Tätigkeitsfeld ist so komplex, dass wir für die Algorithmen, die wir verwenden,
mathematisches Know-how benötigen. Es geht nicht um simple Programmierung,
sondern um das Berechnen von Wahrscheinlichkeiten. Wie reagiert die Gegenseite?
Welche Optionen hat sie? Das ist wie beim Schachspielen. Wenn Sie in der Lage
sind, möglichst viele Züge vorauszudenken, sind Sie im Vorteil. Diese Ansprüche
stellen wir an unsere Programme. Das ist die Herausforderung. Heute können Sie
die Menschheit nicht mehr mit dem Schachtürken blenden.«
Lüder erinnerte
sich an den geheimnisvollen Automaten aus dem achtzehnten Jahrhundert, der
sogar Kaiserin Maria Theresia verblüffte, weil er erstaunlich gut Schach
spielte. Vermutlich saß ein Mensch in dieser Kiste, die äußerlich einem Türken
nachgebildet war. Daher stammte wohl auch die Floskel »einen Türken bauen«, mit
der umschrieben wurde, wenn man etwas vorspiegelte, was nicht den Tatsachen
entsprach.
»Sie blenden die
Anwender nicht mehr, indem Sie einen Türken bauen?«, fragte Lüder und dachte an
Herrn Dingens, den Händler für Anglerbedarf in Kiel.
»Das würde jeder
mündige Anwender sofort merken«, erwiderte Hundertmarck. »Auch wenn kaum noch
jemand versteht, welche Informationskaskaden hinter den Rechnersystemen stehen.
Begreifen Sie, weshalb normale Menschen bei Twitter wie Lemminge anderen
hinterherlaufen? Warum machen das die Follower ? Haben
Sie jemals daran gedacht, dass Sie über Twitter die politische Meinungsbildung
manipulieren können? Durch das Ausnutzen der Mechanismen der Social Networks können Sie ganze Interessengruppen
manipulieren, indem Sie Meinungen und Ansichten auswerten und Ihr eigenes
Verhalten so gestalten, dass die dumme Masse das nicht merkt. Sie können die
politische Willensbildung und das Konsumverhalten beeinflussen. Manchmal
geschieht das auch auf individueller Ebene.«
»Sie meinen die sogenannten Loverboys , die übers Internet meist minderjährige
Mädchen ansprechen, ihnen die große Liebe vorgaukeln, und zwar so erfolgreich,
dass die Opfer ihren Versprechungen folgen und freiwillig zu den überwiegend
gut aussehenden Loverboys
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