Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
äußerst stabil. Die Bambusstange war mit einem dieser modernen Lacke gefirnißt. »Wollt ihr das etwa essen? Ich glaube, ich habe noch nie Wild gegessen.«
    »Wenn Ellen Mae in der Nähe ist, dann ißt du das verrückteste Zeug in ganz Texas«, sagte der andere Mann.
    »Halt's Maul, Peter«, meinte Ellen Mae temperamentvoll. »Wenn du richtiges Essen nicht magst, dann bleib eben bei deinem Purina-Katastrophen-Fraß.« Sie schaute Alex an. »Diese großen Jäger machen sich nichts aus mir. Reich mir mal die Säge.«
    Alex betrachtete Ellen Maes Metzgerwerkzeuge auf der Unterlage aus Rohleder. Er erkannte die Knochensäge an der langen, gletscherfarbenen, funkelnden Schneide. Er bückte sich und hob sie auf. Die Keramikschneide war dauerhaft von Blut verfärbt, der Griff mit Karomuster war abgenutzt, aber jeder einzelne Sägezahn war so scharf wie eine frische Glasscherbe. Es war ein wundervolles Werkzeug, dessen Wirkung man um alles in der Welt nicht am eigenen Leib erfahren wollte. Alex hieb versuchsweise ein paarmal durch die Luft, worauf die anderen zu seiner Verwunderung beiseite sprangen.
    »Entschuldigung«, sagte er. »Megastarkes Ding.« Er faßte das Messer behutsam bei der Schneide und reichte Ellen den Griff.
    Ellen nahm es ungeduldig und sägte die Beine des Hirsches an den Kniegelenken ab. Nach nur einer Minute war sie mit allen vieren fertig. Die andere Frau stapelte die abgetrennten Beine säuberlich aufeinander.
    »Auf den ersten Blick siehst du Jane gar nicht so ähnlich, weißt du, aber jetzt allmählich fällt mir die Ähnlichkeit auf«, meinte Peter.
    »Kann schon sein«, erwiderte Alex. »Bist du der Peter, der hier für die Telefone zuständig ist?«
    »Yeah, das stimmt«, sagte Peter erfreut. »Peter Vierling. Ich zapfe die Masten an. Satelliten, Funkanlagen, die Relais, das ist alles mein Gebiet.«
    »Gut. Dann haben wir beide was miteinander zu erledigen.«
    Peter blickte ihn mit so unverhohlener Verachtung an, daß Alex erst mal sprachlos war. »Irgendwann nach dem Essen«, setzte er dann hinzu. »Hat keine Eile, Mann.«
    »Was zu essen scheinst du wirklich nötig zu haben, Kleiner«, meinte Rick, der Programmierer. »Du brauchst wirklich mehr Fleisch auf den Knochen.« Er tätschelte seinen Rucksack. »Hab da was richtig Gutes für dich. Du kannst Bambis Leber haben.«
    »Großartig«, sagte Alex. »Bambis Keulen und die Brust sehen ja ganz schmackhaft aus… Hat schon mal einer von euch Menschenfleisch probiert?«
    »Was?« sagte Peter.
    »Als ich das letzte Mal in Matamoros war, hab ich Menschenfleisch gegessen«, sagte Alex. »Ist im Moment ziemlich beliebt.«
    »Kannibalismus?« fragte Rick.
    Alex zögerte. Mit dieser heftigen Reaktion hatte er nicht gerechnet. »Meine Idee war's nicht. Ich bin halt irgendwie so reingeplatzt.«
    »Davon habe ich schon mal gehört«, meinte Ellen Mae bedächtig. »Hat was mit Santeria zu tun, diesem Yoruba-Kult.«
    »Nun, es ist ja nicht so, daß man ein großes Menschensteak vorgesetzt bekäme«, sagte Alex zurückhaltend. »Es wird in Würfelform serviert. Auf einem Silberteller. Wie Fondue. Roh essen sollte man es jedenfalls nicht, wegen dem Infektionsrisiko, wißt ihr. Daher gart man es auf diesen kleinen Gabeln.«
    Lange Zeit sagte niemand was. Die beiden Frauen hielten sogar mit dem Abhäuten inne. »Und, wie schmeckt es?« fragte Rick.
    »Na ja, macht nicht viel her, wenn man's erst mal gegart hat«, sagte Alex. »Es wurde in eine Art Fonduetopf getunkt und zum Abkühlen auf diese kleinen Gabeluntersetzer gelegt. Und dann haben wir die Fleischwürfel einen nach dem andern gegessen, und alle machten ein ziemlich ernstes Gesicht.«
    »Wurden irgendwelche Gebete gesprochen?« erkundigte sich die andere Frau.
    »An Gebete erinnere ich mich nicht mehr… Es hatte früher mal was mit Santeria zu tun, schätze ich, aber mittlerweile gehört es mehr zum Drogengeschäft. Viele Drogenleute sind nach der Legalisierung auf Organschmuggel und solche Sachen umgestiegen, daher schwirrt eine Menge… na ja, ihr wißt schon.«
    »Eine Menge Ausschuß herum?« schlug Peter vor.
    »Dieser Typ verarscht uns doch«, meinte Rick.
    Alex schwieg. Seine Gastgeber in Matamaros hatten ihm gesagt, es sei Menschenfleisch, hatten aber keine frischen Knochen vorgezeigt, daher hätte es ebensogut Kaninchen sein können. Ein großer Unterschied war eh nicht zu erkennen, solange man nur glaubte, man äße Menschenfleisch…
    »Das ist ein Grenzphänomen«, sagte er schließlich.

Weitere Kostenlose Bücher