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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Erstickendes von ihr aus.
    Eine schlanke Mücke landete unbemerkt auf Marthas VR-blindem Arm und sog sich mit Blut voll. Alex wollte bereits danach schlagen, dann besann er sich. Martha hätte einen Armklatscher wahrscheinlich nicht besonders gut aufgenommen.
    »Los geht's«, sagte Bussard und reichte ihm die Brille. »Telepräsenz ist was Besonderes, okay? Unter Umständen bekommst du davon somatische Beschwerden, weil mit der Bewegung kein Körpergefühl einhergeht. Zumal du den Flug nicht kontrollieren kannst. Du wirst notgedrungen mit mir und Martha mitfliegen, uns sozusagen über die Flügel gucken, okay?«
    »Hab's kapiert.«
    »Wenn dir übel wird, mach einfach die Augen zu, bis du dich wieder besser fühlst. Und kotz um Himmels willen nicht auf die Ausrüstung.«
    »Alles klar, kein Problem!« sagte Alex. Er hatte sich während des Flugs mit dem Ultralight keineswegs übergeben. Im Gegenteil: er hatte ungefähr ein Pint blauen Schleim ausgehustet und war dann aufgrund der Überversorgung mit Sauerstoff ohnmächtig geworden. Er hielt es für klüger, das für sich zu behalten. Wenn sie glaubten, es sei bloß Kotze gewesen, um so besser.
    Alex setzte die Brille auf und blickte auf zwei winzige Bildschirme, die sich einen Daumenbreit vor seinem Gesicht befanden. Sie waren ohne Input und zeigten ein cybernetisches Blau, und man sah ihnen den häufigen Gebrauch an; die linke Anzeige war mit toten schwarzen Pixeln gesprenkelt. Er fühlte, wie sich auf seinen von der Brille bedeckten Lidern Schweißperlen sammelten.
    »Fertig?« ertönte Bussards Stimme aus dem fernen Zwischenreich der realen Welt. »Ich schalte die Kopfhörer erst später ein, dann können wir uns besser unterhalten.«
    »Ja, klar, ist gut.«
    »Denk dran, die Erfahrung wird erst mal ein bißchen verwirrend sein.«
    »Kannst du nicht endlich die Klappe halten, Mann? Ihr macht mich noch fertig!«
    Weißes Licht sprang ihm entgegen. Er befand sich mitten in der Luft und flog.
    Alex verlor augenblicklich das Gleichgewicht, fiel hintüber und prallte mit dem Hinterkopf gegen das harte Plastik des Hinterrads.
    Mit aufgerissenen Augen wälzte er sich mit Schultern und Fersen auf den Rücken und breitete die Arme aus, um den schwankenden Himmel zu umarmen. Er spürte, wie seine Arme mit einem leisen Klatschen aufs Bubblepak fielen, wie ein Stück Fleisch beim Metzger.
    Er schwebte jetzt mit dem Bauch nach oben durch den Raum. Der Boden unter seinem Rücken fühlte sich wunderbar fest an, als läge das ganze Gewicht des Planeten unter ihm und trüge ihn. Die Umrisse der fernen Wolken schimmerten schwach und waren in halluzinatorischer Bewegung. Computereffekte; wenn er genau hinsah, konnte er winzige, schuppenartige Pixel erkennen, die sich in kleinen Kaskaden über die verschiedenen Farbtöne und Helligkeitswerte ergossen.
    »Wow«, murmelte er. »Das ist es. Einfach super, megastark…«
    Instinktiv versuchte er, den Kopf zu bewegen und sich umzuschauen. Die Brille verfügte jedoch über keinen Tracer. Die Szenerie blieb unverrückbar, als wäre sie an seinem Gesicht festgeschmiedet. Er war ganz Auge, ein empfindungsloser Körper aus amputierter Unbegrenztheit. Er war körperlos…
    Als Bussard sich hinsetzte, hörte Alex das Quietschen des Liegestuhls. »Du bist auf Jesse geschaltet«, sagte Bussard. »Ich schalte jetzt auf Kelly um.«
    Das Bild wurde dunkel und wieder hell, schleuderte ihn elektronisch von Maschine zu Maschine, wie ein lautloser Hammerschlag zwischen die Augen.
    »Wir steigen jetzt«, verkündete Bussard. Die Maschine begann lautlos mit den Flügeln zu schlagen, wobei sich die Perspektive rhythmisch und ruckartig verlagerte.
    »Wir wollen zur Haube«, sagte Bussard. »Da spielt im Moment die Musik.«
    »Gib mir mal den Kopfhörer«, verlangte Alex und streckte die Hand aus. »Ich zieh ihn nur über ein Ohr.«
    Bussard reichte ihm den Kopfhörer, und Alex paßte ihn nach Gefühl an. Der Kopfhörer verfügte über ein eigenes Mikrofon, ein Schaumstoffknubbel an einem gebogenen Plastikhalter. Beim blinden Herumtasten fühlte sich Alex' Kopf unerwartet groß und unförmig an. Sein Kopf war wie der Kopf eines Fremden, ein großes Kissen mit einem Überzug aus Haut.
    Als seine Ohren unter den Kopfhörermuscheln steckten, spürte Alex auf einmal wieder das Brummen, ein gerade noch wahrnehmbares Summen und Kitzeln. Das Brummen strömte unmittelbar durch ihn hindurch, eine unheimliche, grollende Wechselwirkung zwischen dem Rand des Weltraums

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