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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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für ganze zehn Minuten zu vergessen. Etwa jede halbe Stunde durfte er ein paar erfrischende Schluck Wasser zu sich nehmen.
    Der Ostwind hatte sich gelegt. Die smarte Drachenhaut, eben noch straffgespannt und rechteckig, hing nun in einem lustlos schwankenden Bogen am Himmel. Der Wind war von einer angespannten, gelatinösen Stille erstickt worden, von einer tödlichen Ruhe, die Alex' Haut schmierigen Schweiß ausschwitzen ließ. Das Grollen der fernen Donnerschläge im Westen wurde allmählich lauter und hartnäckiger, als würde unmittelbar über dem Horizont irgend etwas unbeholfen demoliert, doch die unnatürliche Stille um den Aerodromtruck wirkte ebenso unbewegt und drückend wie die stickige Luft in einem Grubenschacht.
    Alex hockte im Schneidersitz auf dem Bubblepak, kaute mechanisch an einem Streifen Dörrfleisch und wischte sich den Schweiß ins Haar zurück. Je mehr die Hitze, der Durst und die Spannung zunahmen, desto unerträglicher wurde der Papieranzug.
    Die an weißen Zuckerguß erinnernde glänzende Plastikoberfläche linderte die Hitze ein wenig. Es war ein raffinierter Anzug, und er funktionierte. Aber wenn man es recht bedachte, funktionierte er eigentlich nicht besonders gut. Sein Rücken war schweißgebadet, und sein nackter Hintern klebte unangenehm am Klappstuhl fest. Jedesmal, wenn Alex sich vorbeugte, wurden seine Schulterblätter eingeschnürt. Außerdem war der Anzug bei weitem das lauteste Kleidungsstück, das er jemals getragen hatte. In der angespannten Stille wurde jede seiner Bewegungen von einem Rascheln begleitet, als wühlte er bis zu den Ellbogen in einem Papierkorb.
    Alex stand auf, zog den Reißverschluß bis zur Hüfte herunter und raffte den Anzug mit den herabbaumelnden weißen Papierarmen grob zusammen. Er sah jetzt wirklich scheußlich aus, bleich, klapperdürr, übersät mit Hitzeflecken und verschwitzt, doch die anderen bemerkten es nicht; sie waren VR-blind und murmelten ständig in ihre Mikrofone.
    Alex trat aus dem Schatten und umrundete den Laster, wobei ihm der Schweiß in dünnen Rinnsalen über den Rücken bis zu den Schenkeln hinunterlief.
    Der Himmel im Westen bot einen erstaunlichen Anblick.
    Alex erlebte nicht zum erstenmal ein Unwetter. Er war im Nebelwetter des Golfs von Houston aufgewachsen und hatte Dutzende von Unwettern und texanischen Blue Northern erlebt. Im Alter von zwölf Jahren hatte er im Houstoner Penthouse seiner Familie sogar die Ausläufer eines ziemlich heftigen Hurricans ausgesessen.
    Das Monster, das er da vor sich sah, gehörte allerdings einer anderen Größenordnung an. Das war eine Gewitterwolke von der Größe eines Gebirgszugs. Sie war grellweiß und schwarzblau und hier und da mit halb verborgenen Ansammlungen übler, grünlicher Gerinnsel gestreift.
    Und sie wälzte sich auf ihn zu.
    Ein Turm hatte die Haube durchstoßen. Er hatte sie plötzlich und vollständig durchstoßen, so wie ein Feuerwerkskörper eine dünne Blechbüchse durchbohren mochte. Riesige, rundliche Strömungen rachsüchtigen, überhitzten Wasserdampfs stießen zeitlupenhaft langsam wie gewaltige Fäuste in die oberen Luftschichten vor. Die vielen blumenkohlartigen Blasen wirkten so hart und dicht wie Brocken weißen Marmors. Und am Gipfel ihres Aufstiegs angelangt - Alex mußte den Kopf in den Nacken legen, um das sehen zu können -, ergoß sich Wasserdampf über den Rand der Stratosphäre.
    Alex stand plattfüßig in seinen Schuhen aus Plastik und Papier da und schaute zu, wie das Gewitter zusehends anschwoll. Der emporstürmende Turm endete in einer runden Kuppel, einer anschwellenden Dampfblase von der Größe einer Stadt, und er versuchte offenbar, sich einen Weg durch jene zweite Barriere hindurch in die obere Atmosphäre zu bahnen. Er stemmte sich mit Macht gegen die Barriere und wurde erstaunlicherweise abgeschmettert. Der Turm wurde plattgedrückt, zur Seite geschleudert und zu langen, flachen Eisfahnen zerquetscht. Während die Oberseite der Gewitterwolke dichter wurde, sich ausbreitete und die Sonne allmählich verdeckte, wurden die gewaltigen, geäderten, empordrängenden Wände des Turms weit darunter in eine unheimliche Düsternis gehüllt.
    Es war ein Gewitteramboß. Ein Amboß schwebte mitten im blauen Himmel von Texas, schwarz und kopflastig und erschreckend. Die Luft allein schon schien überfordert, einen solchen Koloß zu tragen.
    Blitze zuckten den Nimbus empor, vom Boden bis zur Spitze. Zunächst ein dünnes, nervöses Knistern wahnsinniger

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