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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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sich auf die Grenze zwischen Texas und Oklahoma zu, in raschem Tempo und mit dem mittelhohen Jet im Schlepptau. Die Jagdsituation würde sich jetzt grundlegend ändern. Mittlerweile hatte die Truppe die verlassenen Landstriche hinter sich gelassen und eine Gegend erreicht, wo das Grundwasser stellenweise noch nicht versiegt war und wo noch eine Menge Leute lebten.
    Wenn sie erst einmal die unfruchtbaren Ebenen von King und Stonewall County hinter sich gelassen und die weite, flache Hochwasserebene des Red River erreicht hätten, würde jeder Zacken von Sturmbeobachtern nur so wimmeln. Neben den Umweltdaten der nationalen Sturmwarnungszentren stünde ihnen reichlich Netzwerkunterstützung zur Verfügung. Die örtliche Polizei und Feuerwehr würden sich dort herumtreiben, vielleicht sogar Ranger und die Nationalgarde von Oklahoma. Nachrichtenteams vom Fernsehen. Und Hobbysturmjäger, die sich mit allen erdenklichen selbstgebastelten Geräten vor ihre Städte wagten. Außerdem die übliche Versammlung der im Hintergrund lauernden Irren: Trümmerfreaks, Vandalen und professionelle Plünderer.
    Und natürlich die Leute, die sich dort aufhielten, weil sie nicht anders konnten; die stinknormalen, bedauernswerten Bürger, die sich solange um ihren eigenen Kram kümmerten, bis irgendein Zacken ihre Stadt auseinandernahm.
    Die Helfer würden sich als letzte zeigen: Hubschrauber, die über dem verwüsteten Gebiet Nahrungsmittel abwarfen, Rettungstrupps der Bundesbehörden, staatliche Flüchtlingsmanager mit der unsentimentalen offiziellen Barmherzigkeit der Suppenküchenzelte und Papierkleider. Irgendwann würde schließlich auch Hilfe eintreffen. Man konnte auf die Hilfe der Regierung nicht verzichten. Nach so vielen Jahren der Naturkatastrophen war nicht mehr viel spontane Hilfsbereitschaft übriggeblieben, aber die Helfer verfügten wenigstens über eine Menge Übung.
    »Um Himmels willen, Janey, jetzt mach nicht so ein Gesicht«, platzte Rick plötzlich heraus. »Es ist doch nicht so, daß wir den Jungen umgebracht hätten.«
    Jane schwieg.
    »Er hat sich viel besser gehalten, als du denkst!«
    Bevor sie sich Jerry und der Truppe angeschlossen hatte, war es Jane schwergefallen, den Mund zu halten. Mittlerweile war sie eine begnadete Schweigerin.
    Darin hatte sie eine Menge Übung. Sie hatte im zweiten Monat bei der Truppe gelernt, den Mund zu halten, nach der häßlichen, lautstarken und handgreiflichen Auseinandersetzung mit Martha Madronich. Jerry hatte ihr wegen des Kampfes keine Vorwürfe gemacht. Er hatte nicht Partei ergriffen, hatte kein Urteil gefällt und sie nicht kritisiert. Statt dessen hatte er Jane gebeten, sich zu einer Woche Schweigen zu verpflichten.
    Jerrys Führungsstil unterschied sich wesentlich von den üblichen Psychopraktiken des öffentlichen Niedermachens und der Erniedrigung vor der Gruppe. Jerry hob nur selten die Stimme, und selbst bei den offiziellen Gruppenzusammenkünften gab er meistens nur kurze Statements ab oder teilte gelegentlich ein knappes Lob aus. Bei privaten Unterredungen jedoch war er hervorragend. Vor dem Kampf hatte er Jane kein einziges Mal zu einem Vieraugengespräch einbestellt. Sie hatte jedoch mitbekommen, wie er unauffällig einzelne Leute beiseitenahm - sogar welche vom harten Kern wie beispielsweise Carol, Greg oder Ellen Mae -, und sie hatte gesehen, wie sie nach etwa einer Stunde erschüttert, ernst, irgendwie breitschulterig und mit leuchtenden Augen wieder zum Vorschein gekommen waren.
    Ein Schweigegelöbnis zu leisten, war eine höchst seltsame Bitte. Sie hatte Jerry jedoch noch nie ernster erlebt. Es lag auf der Hand, daß er sie vor eine Herausforderung stellte, daß er sie einem Akt ritueller Disziplin unterzog. Am schlimmsten aber war die Erkenntnis, daß Jerry ernsthaft bezweifelte, sie verfügte über die nötige Charakterstärke, es auch zu schaffen.
    Darum hatte Jane das Versprechen bereitwillig geleistet, ohne Murren und ohne jede Debatte. Sie war wortlos aus dem Zelt gegangen, und sieben endlose Tage lang hatte sie mit niemandem ein Wort gesprochen. Keine Gespräche, keine Telefonanrufe, keine Funkverbindungen. Sie hatte nicht einmal Kommentare ins Netz getippt.
    Es war ihr unglaublich schwer gefallen, weitaus schwerer, als sie es sich vorgestellt hatte. Nachdem sie mehrmals beinahe instinktiv herausgeplatzt wäre, hielt sie die oberen und die unteren Zähne insgeheim mit einer Metallklammer zusammen. Die Klammer war ein blöder Einfall und eine Art

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