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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Tüte Müsli und eine kleine Feldflasche und schickte ihn Ziegen hüten. Eigentlich war Jeff dafür zuständig, ein Halbwüchsiger, der auch das Feuerholz beschaffte und andere Handlangerdienste im Camp verrichtete, aber mit Alex' Ankunft war Jeff in der Hackordnung eine Sprosse höher geklettert.
    Alex machte es nichts aus, die Ziegen zu hüten. Zwar war das offenbar die stupideste und niederste Arbeit im Gruppenleben, aber zumindest gab es dabei nur wenig zu tun. Sämtliche Ziegen waren mit smarten Halsbändern ausgestattet, und man konnte die Herdenparameter in einen Laptop eingeben und mit schwachen Stromschlägen und Summen dafür sorgen, daß die Ziegen nicht wegliefen. Es handelte sich dabei um genmanipulierte, pharmazeutische Ziegen, um ›Pharmatiere‹, die aber trotz ihrer gelben, bösartigen, an Reptilien erinnernden Augäpfel erstaunlich zahm und dumm waren. Die meiste Zeit über schienen die Ziegen die Signale der Halsbänder zu begreifen und blieben im gewünschten Umkreis. Sie knabberten an allem, was auch nur von ferne eßbar schien, dann lagen sie im Schatten herum und ließen Gas aus ihren genmanipulierten Gedärmen strömen.
    Alex verbrachte den größten Teil des Tages in einem Mesquitbaum am Rande einer buschbestandenen Senke. Er atmete durch die Papiermaske, tippte auf dem Laptop herum und schlug nach Mücken und Bremsen. Die Mücken gefielen ihm nicht, aber abgesehen vom Hals und den Knöcheln war er mit seinem stichsicheren Hut, der Maske und dem Overall einigermaßen geschützt. Die Bremsen waren große, laute, aggressive, den Kopf umkreisende Quälgeister, und daß es so viele waren, wunderte ihn nicht - im Gebüsch wimmelte es nur so von Rotwild. Das verdammte Rotwild war hier so häufig wie Mäuse.
    Alex als ausgemachter Städter hatte immer geglaubt, Rehe seien scheue, zarte und gefährdete Tiere, die sich in den Tiefen ihrer zerfallenden Ökosysteme verkröchen. Für das Rotwild von Westtexas, das in einem Ökosystem gedieh, das nicht mehr weiter zu ruinieren war, galt das jedenfalls nicht. Die Rehe schnauften, hatten Hängeohren und waren schreckhaft, dabei aber so dreist wie Ratten auf einem Schrottplatz.
    Als Alex mit den ihm anvertrauten Ziegen gegen Abend ins Lager zurückkehrte, war er stark beeindruckt von der hiesigen Wildbretkost. An Wildbret zu kommen, war nicht schwer - nicht schwerer, als an einem Tümpel an Hundefleisch zu kommen. Zusammen mit Jeff molk er die Ziegen, die unterschiedliche, eigentümlich käsige Flüssigkeiten produzierten, manche den Vitaminvorschriften der UN entsprechend, andere wiederum gemäß den kommerziellen Erfordernissen des Einzelhandels. Das Ziegenmelken war auf der seltsamen Ebene der intimen Mensch-Tier-Beziehung eine recht interessante Arbeit, aber es war auch anstrengend, und Alex war froh, Jeff das meiste überlassen zu können.
    Greg Foulks hatte Jeff vor ein paar Jahren aus den Trümmern eines F-4 gezogen, genauer gesagt aus dem Haufen Mikadostäbchen, unter denen Jeffs Eltern begraben lagen. Jeff hatte sich seinen Platz bei der Truppe dadurch erkämpft, daß er jedesmal, wenn man ihn in bessere Obhut gegeben hatte, weggelaufen und wieder zurückgekehrt war. Jeff war ein freundlicher, redseliger Texasjunge angloamerikanischer Abstammung, der Jerry und Greg unverhohlene Verehrung entgegenbrachte und jede Menge gute Ratschläge für das Lagerleben parat hatte. Jeff war erst sechzehn, aber seine Augen hatten den gleichen abgespannten, verkniffenen Ausdruck, wie Alex ihn schon häufig in den Gesichtern Obdachloser gesehen hatte, den Schwerwetterflüchtlingen der Welt. Ein gehetzter, bitterer Ausdruck, als hätte sich der Boden unter ihren Füßen in dünnes Eis verwandelt, dem sie nie wieder würden vertrauen können.
    Eigentlich war dieser Ausdruck allen Troupern gemeinsam. Bis auf Jerry Mulcahey vielleicht. Bei genauer Betrachtung wirkte Mulcahey so, als habe er überhaupt noch keinen Fuß auf die Erde gesetzt.
    Am nächsten Tag wurde Alex zum Küchendienst eingeteilt.
     
    »Deine Schwester«, sagte Ellen Mae Lankton, »ist eine richtige Nervensäge.«
    »Da sprichst du mir aus der Seele«, sagte Alex. Er saß im Schneidersitz auf dem Bubblepak-Boden der Küchenjurte und schälte eine Wurzel. Es war die Wurzel einer einheimischen Pflanze, die ›Mohnmalve‹ genannt wurde. Sie sah aus wie eine sehr schmutzige und krumme Karotte, und in geschältem Zustand ähnelte sie auf wenig appetitliche Weise einer Yamswurzel.
    Ellen Mae war bereits im

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