Schwere Wetter
Morgengrauen aufgestanden, um nach Mohnmalve zu graben. Sie stand jeden Morgen so früh auf, streifte systematisch über die Felder, knipste mit ihrer privaten Drahtschere mit Diamantschneide Meilen von altem Stacheldrahtzaun durch und grub mit der Schaufel Wurzeln aus. Und so warteten in Ellen Maes Tragetasche nun ein Dutzend schmutzige Wurzeln darauf, von Alex geschält zu werden. Wurzelschälen war bei den Storm Troupern offenbar wenig beliebt. Alex machte es jedoch nichts aus.
Alex machte kaum eine Arbeit etwas aus, solange er dabei still sitzen und flach atmen konnte. Was ihn bei der Küchenarbeit störte, war der Mesquit-Rauch. Jedesmal, wenn Ellen Mae sich umdrehte und den Eintopf umrührte, setzte Alex rasch die Papiermaske auf und genehmigte sich insgeheim ein paar Atemzüge sauber gefilterter Luft.
Während Ellen Mae emsig umherwuselte und eine endlose Reihe mysteriöser Küchenrituale vollführte, saß Alex in dem bißchen frischer Luft da, das in die Jurte drang. Im Laufe des Vormittags hatten mehrere Trouper hereingeschaut, um einen Happen zu essen oder um einen Schluck Wasser zu trinken, und hatten Alex in der Haltung eines demütigen, aufmerksamen Gehilfen zu Ellen Maes Füßen sitzen sehen. Und sie hatten Ellen Mae einen überraschten, respektvollen Blick zugeworfen. Nach einer Weile war Ellen Mae merklich aufgetaut, und nun quasselte diese seltsame, hexenhafte Frau in mittleren Jahren auf Teufel komm raus und wollte einfach nicht mehr aufhören.
»Zum einen redet sie irgendwie komisch«, sagte Ellen Mae.
»Meinst du ihren Akzent?« fragte Alex.
»Na ja, der hat auch was damit zu tun… «
»Das ist ganz einfach«, meinte Alex. »Wir Unger sind Deutsch-Mexikaner.«
»Was?«
»Yeah, wir stammen von diesem Deutschen namens Heinrich Unger ab, der 1914 nach Mexiko ausgewandert ist. Er war ein deutscher Spion. Er wollte, daß die Mexikaner im Ersten Weltkrieg nach Amerika einmarschieren.«
»Ui«, machte Ellen Mae, den Eintopf umrührend.
»Aber damit hatte er kein Glück.«
»Das möcht ich meinen.«
»Ein anderer Spion, ein gewisser Hans Ewers, hat ein paar Bücher über diese Mission geschrieben. Sollen angeblich ziemlich gut sein. Ich kann's nicht sagen. Ich kann Deutsch nicht lesen.«
»Deutsch-Mexikaner«, murmelte Ellen Mae versonnen.
»Es gibt eine ganze Menge Deutsch-Mexikaner. Tausende, um genau zu sein. Das ist eine ziemlich große Minderheit.« Alex zuckte die Achseln. »Mein Dad kam damals über die Grenze und nahm dann die amerikanische Staatsbürgerschaft an, nachdem er ein bißchen Geld verdient hatte.«
»Wann genau war das?«
»Um 2010 herum. Kurz bevor ich geboren wurde.«
»Muß wohl was mit diesen Freihandelsgeschichten zu tun haben. Als die USA ihre Arbeitsplätze nach Mexiko verlagerten und die Mexikaner ihnen ihre ganzen Reichen schickten.«
Alex hob die Schultern. Die historische Verstrickung seiner Familie bedeutete ihm wenig. Für den fernen und romantischen Aspekt der Geschichte von 1914 brachte er nur oberflächliches Interesse auf, aber nichts ödete ihn so an wie die postindustrielle Unternehmerkarriere seines Vaters.
»Janey klingt aber nicht deutsch. Auch nicht mexikanisch. Und du hast auch keinen deutschen oder spanischen Akzent, Kleiner.«
»Wenn ich Spanisch spreche, hört man das Deutsche ziemlich gut raus«, meinte Alex. »Könnte ich noch etwas Tee haben?«
»Klar, soviel du willst«, erwiderte Ellen Mae zu seiner Überraschung. »Morgen brechen wir das Lager ab. Viel Wasser können wir nicht mitnehmen.« Sie schenkte ihm reichlich von einem säuerlichen Kräuteraufguß ein, den sie aus glänzenden grünen Blättern bereitet hatte. Tee war es bestimmt nicht, aber besser als so manche anderen mexikanischen Getränke, die er schon probiert hatte. »Darum brauchen wir jetzt das restliche Wasser auf. Heute abend können wir alle baden!«
»Wow!« machte Alex und nippte an dem Hexengebräu.
Ellen Mae betrachtete ihn nachdenklich. »Und was machst du so, Alex?«
»Ich?« fragte Alex. Er ließ sich die Frage durch den Kopf gehen. Häufig hatte man sie ihm noch nicht gestellt. »Ich bin ein Spiele-Tester.«
»Was ist das denn?«
»Na ja, Netzwerk-Computerspiele«, meinte Alex ausweichend. »So Rollenspiele halt… Heutzutage sind Computerspiele nicht mehr lukrativ, wegen der ganzen Copyrightsverletzungen und so, aber, ich weiß nicht, da gibt's ja noch die Kryptware und Shareware und die Subskriptionsdienste, oder? Leute, die sich mit dem Fantasyzeug
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