Schwert des Aufruhrs
leicht ablegen zu können, Kisho Novakatze.« Sie strich ihr dichtes schwarzes Haar hinter die Ohren. »Drei Mordversuche, bevor ich sechzehn war. Wusstest du das?«
»Ich kann es mir vorstellen.« Er lächelte bitter. »Mystiker haben eine wunderbare Vorstellungskraft.«
»Ich dachte, die Novakatzen-Mystiker vertrauen auf Visionen und Zeichen. Nicht auf Hirngespinste.«
»Mancher würde antworten, dass zwischen beiden kein Unterschied besteht.«
Meinte er mit >mancher< sich selbst? Ein Mystiker, der seine eigenen Fähigkeiten als Betrug entlarvte? Yori hatte eine generelle Vorstellung von der Ausbildung, die ein Mystiker durchlief, und der Rolle, die diese Männer und Frauen bei den Novakatzen spielten. Die Mystiker bestimmten die Zukunft des Clans. Es waren ihre Visionen, die den Clan vor siebzig Jahren dazu veranlasst hatten, die ClanHeimatwelten zu verlassen, seine Wurzeln zu kappen und Zuflucht im Draconis-Kombinat zu suchen. Sie hatte noch nie gehört, dass einer von ihnen an sich zweifelte.
Angst und Ungewissheit. Ja. Kisho Novakatze war ein sehr wütender Mann.
»Du hast also noch nie eine Vision gedeutet?«, fragte sie vorsichtig, schob ihre eigenen Probleme beiseite und bot dem anderen Ausgestoßenen des Gefolges eine helfende Hand.
Kisho zuckte die Achseln. Ein paar Blütenblätter fielen von seiner Stirn. Eines blieb kurz an den langen Wimpern hängen, und er zwinkerte es weg. »Hast du je geraten, was geschehen könnte? Dass eine Beziehung zerbricht? Gewusst, dass zwei Männer sich prügeln werden? Möglicherweise erst nach Tagen oder Wochen, aber dass es dazu kommen würde, war sicher?«
»Ich denke schon.«
Kisho öffnete die in seinem Schoß ruhenden Hände, als hätte sie damit ihre eigene Frage beantwortet.
»Wir beobachten«, erinnerte er sie. »Wir gestatten uns, darüber nachzudenken, was wir sehen und erleben. Mehr ist es nicht.«
»Sonst nichts?« Yori war sich nicht sicher, ob er das selbst glaubte.
»Nichts!«
Fast wäre sie aufgestanden und gegangen. Beinahe zog sie die Isolation seiner gezügelten Wut vor. Beinahe. »Du bist also hier, um zu beobachten«, stellte sie fest, als würde sie mit einer so einfachen Feststellung seine Gegenwart weg erklären. Obwohl sie nicht beabsichtigte, dies beleidigend klingen zu lassen.
»Das genügt.« Er war kurz angebunden. Offensichtlich hatte er mehr in ihre Worte hineingelesen, als sie beabsichtigt hatte. »Aber wozu bist du hier?«
Die direkte Frage überrumpelte sie. Erst recht, weil Yori sie sich seit dem Aufbruch von Luthien selbst schon so oft gestellt hatte. »Ich vermute, ich bin aus dem entgegengesetzten Grund hier. Um gesehen zu werden. Oder nicht, wie auch immer.« Sie hob eine vollständige Kirschblüte auf, die in ihren Schoß gefallen war. Drehte sie wie einen winzigen Schirm zwischen den Fingern. »Die meisten anderen schauen weg, wenn ich komme. Der Koordinator starrt durch mich hindurch, als gäbe es mich gar nicht.«
»Und Tai-shu Toranaga?«
»Er sieht etwas in mir, das er für möglicherweise der Mühe wert hält. Welche Schande auch immer mein Großvater auf sich geladen hat, er sieht darüber hinweg. Ich kann nur versuchen, mich seiner Aufmerksamkeit würdig zu erweisen.«
Das Geständnis fiel ihr schwer, besonders einem nahezu Fremden gegenüber. Doch Yori hatte das Gefühl, dem Mystiker etwas zu schulden, der sich nun schon zweimal in ihr Leben eingemischt hatte, ohne dazu gezwungen gewesen zu sein. Solche Menschen waren in ihrer Umgebung selten. Häufig musste sie gegen die Neigung ankämpfen, sie zurückzustoßen. Ihn stieß sie nicht zurück, weil sie wusste, er konnte ihr nicht schaden.
Kisho seinerseits ließ sich ihre Antwort kurz durch den Kopf gehen. Dann entknotete er die Beine und kniete sich ebenfalls hin, um ihr auf gleicher Höhe gegenüberzusitzen. »Alle sehen dich, Kurita Yori-san. Die Frage, die du dir stellen solltest, ist: Was sehen sie?«
Sie spürte ein zögerndes Zucken um ihre Mundwinkel und hätte fast gelächelt. Wenn seine Worte nicht so traurig geklungen hätten. Auf Mitleid konnte sie verzichten. »Ist das eine Vision?«, fragte sie schnippisch.
Kisho schüttelte den Kopf. »Eine Beobachtung. Und jetzt beobachte ich, dass es dunkel wird. Ich werde essen gehen.«
Er stand in einer einzigen flüssigen Bewegung auf und ragte hoch über ihr auf, bevor er sich ohne ein weiteres Wort unter den Ästen des Kirschbaums wegduckte. Blütenblätter regneten von seinem Kopf und den Schultern
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