Schwert und Laute
sein Zimmerchen war nur eine Art zweiter Wohnsitz, den er in Edinburgh unterhielt. Er besaß ein Anwesen im Tweed-Tal, in der Nähe von Peebles, wo seine Gattin und seine fünf Kinder lebten.
Der zweite Mieter war ein Student der Universität Edinburgh. John Colin Macdiarmid war ein schüchterner junger Mann von zweiundzwanzig Jahren und nahm sehr selten an unseren Mahlzeiten teil. Er zog es vor, sich mit seinem Teller in seinem Zimmer zu verkriechen und die Nase in die Bücher zu stecken.
Dem dritten Mieter war ich seit meiner Ankunft nur einmal begegnet. Philip Kerr, ein älterer Herr, litt an einer geheimnisvollen Krankheit, die ihn seit fast sechs Monaten ans Bett fesselte. Zweimal pro Woche kam ein Arzt, um ihn zur Ader zu lassen und weitere Kuren mit ihm durchzuführen, die ich sämtlich barbarisch fand und deren Wirkung ich anzweifelte. Edwina hatte mir
anvertraut, dass der Arzt ihm nur noch ein paar Tage, höchstens aber eine oder zwei Wochen zu leben gab.
Wie jeden Morgen waren wir nach einer reichlichen Schale heißen Porridges zum Markt aufgebrochen. Ich trug einen Korb über dem Arm, und Mrs. Hay als gewiefte Geschäftsfrau inspizierte alle Waren auf das Genaueste und feilschte hartnäckig, bevor sie etwas erwarb. Anschließend begaben wir uns mit unseren Einkäufen beladen nach Grassmarket, wo Edwina die Kräuter für ihre Tees bezog. Das Viertel lag am Fuß des Felsens, auf dem das Schloss von Edinburgh errichtet war, und bot eine beeindruckende Aussicht auf die Festung.
Als wir uns diesem Teil der Stadt näherten, vernahmen wir ein dumpfes Volksgemurmel, das sich nach und nach zu einem wahren Tohuwabohu auswuchs, in dem immer wieder lautes Geschrei und gebrüllte Beleidigungen zu hören waren. Ich warf Edwina einen fragenden Blick zu.
»Wahrscheinlich eine öffentliche Hinrichtung«, meinte sie achselzuckend. »Hast du noch nie einer Exekution beigewohnt?«, fragte sie erstaunt, als sie meine erschrockene Miene bemerkte.
»Ja... doch, in Belfast, aber das ist schon sehr lange her«, stammelte ich. »Dem Mann wurde der Kopf abgeschlagen. Mir ist davon schlecht geworden, und Vater hat mir verboten, noch einmal zu einer Hinrichtung zu gehen.«
»Es ist wahr, ein besonders schöner Anblick ist das nicht«, fuhr Edwina fort und verzog angeekelt das Gesicht. »Wenn man sie aufhängt, werden sie ganz blau, und die Augen quellen ihnen aus den Höhlen. Ich frage mich, wen sie heute aufknüpfen wollen.«
Eine schaulustige Menge umstand das Schafott, brüllte Beleidigungen und Obszönitäten und schwenkte wild geballte Fäuste gegen den Unglücklichen, der, von zwei Soldaten flankiert, auf die Plattform stieg. Eine Trommel wurde gerührt und ließ die Szene noch unheimlicher erscheinen. Ein Highlander... Der Mann, der ein Plaid und ein schmutziges, zerrissenes Hemd trug, ließ sich die Schläge gleichmütig und mit hoch erhobenem Kopf gefallen. Edwina ging fort, um sich zu erkundigen, wer der Verurteilte war, und kam zurückgetrippelt.
»Ein gewisser Reginald Macgregor. Er soll in Lanarkshire zwei
Männer getötet und zweihundert Stück Vieh gestohlen haben. Diese Macgregors sind richtige Spitzbuben. Sie rauben und töten alles, was ihnen über den Weg läuft. Sie haben wirklich keine Achtung vor niemandem, so wie die meisten Highland ...«
Sie verschluckte sich an dem letzten Wort und sah mich verwirrt an.
»Es tut mir leid, Caitlin... Ich meine natürlich nicht Mr. Macdonald«, beeilte sie sich stammelnd zu versichern. »Er ist so liebenswürdig und würde so etwas ganz gewiss nicht tun...«
»Nein, bestimmt nicht«, gab ich ironisch zurück. »Lasst uns zu Mr. Mylne gehen und Eure Kamille und Eure Lindenblüten holen, ich habe keine Lust, diesem Schauspiel beizuwohnen.«
Ich drehte mich auf dem Absatz um, machte einen Bogen um die aufgebrachte Menschenmenge und schlug den Weg zum Kräuterhändler ein. Verwirrt und mit hochrotem Gesicht trippelte Edwina hinter mir her.
Dieses Erlebnis bewog mich, noch einmal nach Dunning Manor zurückzukehren. In der darauf folgenden Nacht litt ich unter entsetzlichen Albträumen. Wieder sah ich den Galgen auf dem Grassmarket vor mir und all diese Menschen, die schrien und johlten, während man einem Mann den Strick um den Hals legte. Ich hörte den Trommelwirbel, der immer schneller wurde und dann mit einem Mal abbrach, als der Henker die Falltür unter den Füßen des Verurteilten öffnete. Nassgeschwitzt und mit rasendem Herzen fuhr ich aus dem Schlaf: Der
Weitere Kostenlose Bücher