Schwert und Laute
ihren Stock zum Gehen. Rennen kann sie noch nicht, aber das wird auch nicht lange auf sich warten lassen«, setzte sie kichernd hinzu.
Nachdenklich saß ich da und versuchte, die Bruchstücke dieses Rätsels zu entwirren. Etwas stimmte hier nicht.
So tief war ich in meine Gedanken versunken, dass ich das Knarren von Schritten auf dem Fußboden nicht hörte, das vom Flur hineindrang. Erst als Becky verblüfft die Luft einsog, wurde ich aus meinen Überlegungen gerissen. Der Blick der Köchin war an mir vorbei auf jemanden gerichtet, der sich hinter mir befand. Ich drehte mich um und wollte sehen, wer ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.
In der Tür stand Lord Winston Dunning. Bleich und wütend starrte er mich an und rang sichtlich um Beherrschung.
»Ihr... Ihr!«, zischte er und packte mich am Handgelenk. »Mitkommen!«
Er zog mich heftig am Arm. Ich sah gerade noch Beckys verblüffte Miene, und dann zerrte er mich schon in die Bibliothek. Winston stieß mich brutal in einen Ledersessel und verriegelte die Tür dann zweimal. Ich schluckte und zog den Kopf ein. Offensichtlich war er nicht eben erfreut, mich zu sehen.
Ich hörte ihn hinter mir atmen; er klang wie ein wütender Stier, der sich zum Angriff bereit macht. Ich machte mich so klein wie möglich und zog mein Tuch fest um meine Schultern.
»So, so, wir kehren also an den Ort unseres Verbrechens zurück, meine Teure?«, rief er mit rauer, hasserfüllter Stimme. »Ihr seid wirklich noch dümmer, als ich dachte.«
»Ich... verstehe nicht ...«
Er trat vor mich hin, setzte sich mit vor der Brust verschränkten Armen auf die Ecke des Schreibtisches und musterte mich verächtlich.
»Ihr versteht nicht? Kommt schon, meine Schöne. Schaut, liebe
Caitlin«, fuhr er mit aufgesetzter Freundlichkeit fort, »ich habe Euch in jener Nacht aus dem Zimmer meines Vaters kommen sehen.«
Ich erstarrte, und meine Lippen begannen zu zittern.
»Ich befand mich am anderen Ende des Ganges und hatte mich im Dunkeln versteckt, um Eurem... Liebesspiel zu lauschen, wenn man so sagen will. Als Ihr herausgekommen seid, habt Ihr kurz im Mondschein gestanden. Ihr wart in einem ziemlich jämmerlichen Zustand und schient es sehr eilig zu haben. Ich hatte etwas mit meinem Vater zu besprechen, deswegen hatte ich darauf gewartet, dass er sein kleines Schäferstündchen beendete. Hoffentlich habt Ihr ihm wenigstens Zeit gelassen, fertig zu werden«, setzte er mit einem gehässigen Zucken der Mundwinkel hinzu.
»Ihr Schwein!«, schrie ich und sprang auf. »Ihr wart das also...«
»Ihr habt das getan«, schäumte er und wies anklagend mit dem Finger auf mich. »Ihr habt ihn getötet! Als mein Vater nicht reagierte, bin ich in sein Zimmer getreten. Saubere Arbeit, Caitlin. Ein einziger Stich und... pfff«, rief er und zog in einer Parodie des tödlichen Hiebs den Daumen über den Hals.
»Und Ihr habt den Rest erledigt, und auch nicht übel, wie ich gehört habe. Wie konntet Ihr nur? Euer eigener Vater...«
Jetzt lächelte er ganz offen. Unter anderen Umständen hätte ich ihn vielleicht sogar anziehend gefunden, wenn nicht gar sympathisch. Aber im Moment widerte er mich an. Er trug eine blonde Allongeperücke, wie sie am Hof Ludwigs des Vierzehnten Mode war. Unter seinem geöffneten Wams aus dunkelroter Seide war eine Weste aus grauem Brokat zu sehen. Seine unter dem Knie geschnürten Hosen ließen wohlgeformte bestrumpfte Waden erkennen. Seine selbstzufriedene Miene schüchterte mich ein, und ich wandte den Blick ab.
»Ihr glaubt doch nicht, dass ich mich zu so einer Schandtat herablassen würde?«, schrie er und hob in einem Rascheln von Spitzen den Arm. »Ha! Da seid Ihr auf dem Holzweg, meine Liebe. Jemand anderes hat das an meiner Stelle übernommen. Seltsam, wie die Umstände oft im unerwartetsten Augenblick für einen arbeiten, nicht wahr?«
Er richtete sich auf und trat an den mit wertvollen, ledergebundenen Bänden ausgestatteten Bücherschrank. Er tat, als wolle er einen auswählen, und stellte ihn wieder an seinen Platz. Dann fuhr er herum, wobei seine Rockschöße flogen, stützte eine Hand in die Hüfte und setzte eine hochmütige Miene auf.
»Ihr wisst genau, dass Liam ihn nicht getötet hat...«
»Liam! Aha, so heißt er also«, fiel er ein und wedelte mit der freien Hand durch die Luft.
Mit affektierten Schritten kam er auf mich zu. Regungslos hielt ich seinem überheblichen Blick stand. Er blieb vor mir stehen und nahm meine linke Hand, an der mein Ehering
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