Schwert und Laute
Mann, der uns den Rücken zudrehte. Wahrscheinlich hielt er Wache. Ein sanft-herber Tabakgeruch lag in der Luft und erinnerte mich an meine Kindheit, als mein Vater nach einem langen Arbeitstag in der Ecke am Kamin seine Knochenpfeife zu rauchen pflegte. Über dem Kopf des Wachpostens erschien eine kleine Rauchwolke wie ein leuchtender Heiligenschein und verschwand dann in der uns umgebenden Dunkelheit.
Ich hörte das Stöhnen und unzusammenhängende Murmeln von Schläfern. Dann vernahm ich irgendwo oberhalb meines Kopfes ein unausgesetztes Kratzen auf dem Boden und suchte mit dem Blick nach der Ursache. Da saß Liam, den Rücken gegen den Fels gelehnt. Sein Haar war zerzaust, sein Bart leuchtete golden, und er sah mich unverwandt an. Mit seinem kleinen Dolch schabte er zerstreut über den Boden. Er sagte nichts, sondern beobachtete mich nur weiter mit diesem seltsamen Leuchten in den
Augen. Ich regte mich und stützte mich auf einen Ellbogen. Wir verharrten in ruhigem Schweigen. Er schlug die Augen nieder, nur einige Herzschläge lang, und öffnete sie dann wieder. Mit einem Mal kam er mir sehr traurig vor. Ich wagte nichts zu sagen. Dann seufzte er, streckte langsam seinen gewaltigen Körper und stand auf. Seine Lippen öffneten sich, so dass ich schon glaubte, er werde mich ansprechen, doch er sagte nichts, sondern entfernte sich.
Hatte ich etwas getan, das ihm missfallen hatte? Oder hatte er irgendeine verhängnisvolle Entscheidung bezüglich meiner Person getroffen? Ich legte den Kopf wieder auf die Decke. Dieser Mann war rätselhaft. In seinem Blick spürte ich etwas Undefinierbares, Geheimnisvolles. Liams Seele hatte eine dunkle Seite, von der ich mich angezogen fühlte. Doch sein Leben ging mich nichts an. Ich ließ zu, dass mir erneut die Augen zufielen. Meine noch unsichere Freiheit verdankte ich ihm, und ebenso Colin. Morgen würden die Männer mich an die schottische Westküste bringen, wie sie es versprochen hatten. Ich würde ihnen danken und mich nach Irland einschiffen, und damit würde dieses Abenteuer abgeschlossen sein.
4
Die Macdonald-Brüder
Sanft wärmte die Sonne mir das Gesicht. Ich rekelte mich und streckte meine Glieder unter der Decke hervor. Da ich es nicht gewöhnt war, auf hartem Boden zu schlafen, fühlte ich mich ein wenig zerschlagen, aber das herrliche Wetter entschädigte mich für mein Unwohlsein. Ich setzte mich auf, sah mich um und bewunderte die Natur, die, nachdem sie lange Monate unter der Schneedecke geschlummert hatte, langsam wieder erwachte. Die Bäume wirkten wie von einem dichten, grünlichen Nebel überhaucht. Die Pflanzenwelt prangte in einem unbeschreiblichen Farbenspiel aus Grüntönen, in die sich blaue und purpurfarbene Akzente mischten, und schien eine Ode an den Frühling zu singen.
Zwei Männer, die auf einem mit Flechten überzogenen Felsvorsprung saßen, unterhielten sich leise. Der eine von ihnen, ein großer Rothaariger, der ein wenig ungeschlacht wirkte, hieß Donald MacEanruigs. Der andere, der viel kleiner, aber so breit wie zwei Männer war und dessen Gesicht von einem ungepflegten Bart entstellt wurde, hörte auf den Vornamen Niall. Etwas weiter weg arbeiteten Liam und einer seiner Männer, den er Simon gerufen hatte, an einem kleinen, mit Holzkisten beladenen Fuhrwerk. Dann war da noch Isaak, der sich an einen Baum lehnte und zu dieser ziemlich frühen Tageszeit eine Feldflasche mit Whisky leerte. Gestern hatte er seinem Wunsch, sich mit mir zu amüsieren, deutlich Ausdruck verliehen, daher hatte ich das Gefühl, bei ihm vorsichtig sein zu müssen. Colin kam einen Waldweg entlang und hatte offensichtlich einen Bach besucht. Er schüttelte sich, und das Wasser tropfte auf seine Schultern.
Ich ließ die Finger durch mein Haar gleiten, aus dem sich einige Krusten geronnenen Blutes lösten. Angewidert betrachtete
ich sie. Ich musste mich in einem traurigen Zustand befinden. Ein schönes Bad wäre nicht übel gewesen, aber unter den Umständen musste ich diesen Luxus wohl auf später verschieben. Wenn ich nach dem Aussehen der Männer ging, sahen sie die Sache mit dem Baden genau wie ich.
Colin erblickte mich und kam auf mich zu. Unterwegs nahm er eine Satteltasche und eine Feldflasche auf, stellte beides vor mich hin und ließ sich dann auf den Boden sinken. Jetzt, bei Tageslicht, fühlte ich mich in seiner Gegenwart wieder befangen, und meine prekäre Lage stand mir überdeutlich vor Augen. Ich saß mitten im Nirgendwo, in einer mir unbekannten
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