Schwert und Laute
Ich verfolgte jede ihrer Bewegungen. Colin bewegte sich langsam und näherte sich ihr von hinten. Er war so blass geworden, dass er mit dem Nebel hätte verschmelzen können. Dann durchschnitt plötzlich seine Stimme das Schweigen.
»Meghan, dieses Kind ist nicht Liams Sohn.«
Er klang merkwürdig. Liam blickte mit fragender Miene in seine Richtung.
»Es ist von mir...«
Ungläubiges Erstaunen breitete sich auf allen Gesichtern aus. Nervös wich Colin dem Blick seines Bruders aus. Kurz sah er mich an, bevor er erneut Meghan anstarrte. Sie betrachtete das Kind jetzt mit einer eigenartigen Miene. Am liebsten hätte ich mich selbst geohrfeigt, um aufzuwachen, so sicher war ich mir, dass ich in einem Traum gefangen war.
»Rede«, befahl Liam.
Colin war ein Stück zurückgewichen, als fürchte er eine heftige Reaktion auf das, was er nun sagen würde.
»In dieser Nacht warst du sturzbetrunken, Liam, und Meg... war auch ziemlich bezecht. Als ihr zu Bett gegangen seid, da seid
Ihr sofort eingeschlafen. Aber später, in der Nacht, bist du aufgestanden und hinausgegangen.«
Niemand wagte sich zu rühren. Sogar Meghan sah Colin an, als verstehe sie nicht, was er sagte. Mit leiser Stimme fuhr er fort, so leise, dass die Natur zu schweigen schien, damit wir ihn verstehen konnten.
»Als ich sah, dass du nicht zurückkamst, habe ich mir Sorgen gemacht. Ich bin aufgestanden und nach draußen gegangen. Du warst auf der Bank neben der Tür wieder eingeschlafen. Ich habe versucht, dich zu wecken, aber du hast mich fortgestoßen und geflucht wie ein Fuhrknecht. Also habe ich dich dort liegen gelassen und mir gesagt, wenn dir in der Kälte das Gemächt abfröre, würdest du schon nach drinnen kommen. Als ich ins Haus kam, hörte ich, wie Meg sich im Bett herumwarf und nach dir rief. Ich bin auf die andere Seite des Wandschirms getreten, um ihr zu sagen, dass du ein wenig frische Luft schnappst...«
Er gab sich sichtlich Mühe, in ruhigem Ton zu sprechen. Liam regte sich immer noch nicht, aber unter seiner Haut spielten seine Muskeln.
»Du hast es ausgenutzt, dass ich... Mein Gott!«
»Nein, das war nicht so, wie du glaubst...«
»Hältst du mich vielleicht für einen Dummkopf?«, gab Liam kalt zurück.
Colin schüttelte den Kopf. Meghan bewegte die Lippen, dann ließ sie den Kopf sinken, weil sie mit einem Mal begriff, was Colin zu erklären versuchte. Ihre Wangen liefen rot an.
»Das warst... du? Wie ist das möglich? Du warst das, Colin? Aber ich war mir ganz sicher... Heiliger Jesus!«
Die überraschende Erklärung hatte ihr einen kurzen Moment geistiger Klarheit geschenkt. Colin allerdings wusste nicht, wo er sich lassen sollte, und trat von einem Fuß auf den anderen. Einen Augenblick lang dachte ich schon, er würde die Beine in die Hand nehmen und ohne anzuhalten bis nach Carnoch rennen. Doch er blieb stehen und sah Meghan mit hochrotem Kopf an. War es Scham, oder vielleicht die lüsterne Erinnerung an ihr Liebesspiel? Er sprach sie erneut an.
»Du hast da gestanden, nackt. Herrgott, ich bin auch nur ein
Mann, und... Ich weiß, du hast mich für Liam gehalten, aber du hast mich umarmt, mich zum Bett gezogen und geküsst. Ich habe ja versucht, dich zurückzustoßen, dir zu sagen, wer ich war... aber du hast ja nicht auf mich gehört.«
Er richtete den Blick wieder auf seinen Bruder.
»Was hättest du denn an meiner Stelle getan?«, rief er mit unsicherer Stimme.
Ich sah Meghan an. Eine Abfolge unterschiedlicher Gefühle spiegelte sich in ihren Zügen. Dann brach sie in ein hektisches Gelächter aus.
»Armer Colin...«, spottete sie bösartig. »Bedaure, aber das Kind ist auch nicht von dir. In jener Nacht wusste ich bereits, dass ich guter Hoffnung war. Ich brauchte einen Vater für das Kind, das ich trug. Der wahre Vater... konnte nicht...«
Ein Keulenschlag hätte die gleiche Wirkung auf die Brüder gehabt. Meghan hatte sie beide ganz gewaltig hinters Licht geführt. Mit einem Mal fiel mir ein, dass Ewen Campbell mir gestanden hatte, bei ihr gelegen zu haben. Das war es also! Sie hatte das Kind eines Campbell getragen, was in den Augen der Macdonalds völlig unverzeihlich gewesen war. Ein Verräter zeugt immer einen Verräter... Sie wäre verstoßen und aus dem Clan verbannt worden. Und da hatte sie eine Möglichkeit gefunden, alle geschickt zu ihrem Nutzen zu lenken, indem sie Liam verführt hatte, was wahrscheinlich nicht allzu schwer gewesen war. Danach wäre ihm nichts anderes übrig geblieben, als sie
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