Schwert und Laute
stehen geblieben und wandte uns den Rücken zu.
»Meghan«, rief Liam noch einmal.
Die schmale Gestalt, die in einem alten, zerrissenen Plaid fast versank, drehte sich langsam um ihre Achse. Ich hatte Liam erreicht und klammerte mich an seinen Arm. Diese Erscheinung musste direkt aus der Hölle kommen. Das Gespenst aus meinen Albträumen sah uns aus seinen smaragdgrünen Augen an und hielt ein kleines Bündel in den Armen. Sie wiegte es sanft, klopfte ihm auf den Rücken und summte ihm eine gälische Ballade vor. Duncan... Sie betrachtete uns mit einer derart unerklärlichen Gleichmut, dass ich mich einen Moment lang fragte, ob sie uns überhaupt erkannt hatte. Dann hob sie das Kinn und verzog den schönen Mund zu einem Lächeln. Ihr Blick richtete sich auf mich und verspottete mich wortlos.
Von einer fürchterlichen Wut getrieben, stürzte ich voran und wäre beinahe der Länge nach hingeschlagen, aber Liam legte den Arm um meinen Körper und hielt mich fest. Zappelnd und schreiend versuchte ich mich loszumachen.
»Ich will mein Kind... Lass mich los, damit ich Duncan holen kann.«
»Nicht so, Caitlin, sie... Oh, verflucht!«
Meghan flüchtete. Colin und Patrick rannten wieder los und holten nach und nach auf. Meghan kletterte auf einen Felsbrocken, der über den Bach hinausragte, drehte sich um und schwenkte Duncan über dem wild strudelnden Wasser, bereit, ihn hineinzuwerfen, falls sich ihr jemand näherte. Ihr grausames Lachen ließ mir das Blut bis auf die Knochen gefrieren. Ich hatte das Gefühl zu sterben.
»Neiiin!«
Liam hielt mich am Arm fest. Meghan trat einen Schritt näher an den Rand heran. Ich sah mein fest in Decken gewickeltes Kind
und wünschte mir nur noch, ich könnte es in die Arme schließen, ihm sagen, dass alles vorüber war und mit ihm nach Hause zurückkehren.
»Tu das nicht, Meg.«
Ihr Lachen verstummte so abrupt, wie es erklungen war. Sie durchbohrte uns mit ihren irren Blicken. Die Luft, die uns umgab, wurde dick und schwer, schien alle Laute aufzusaugen und ließ nur eine entsetzliche Stille zurück. Die Nebelschwaden zogen heran und schlossen uns von der Realität ab. Ich hatte mit einem Mal den Eindruck, mich in einer anderen Welt zu befinden, in einem Traum vielleicht.
»Er gehört mir, ihr könnt ihn mir nicht wegnehmen, er ist mein Kind!«
»Gib ihn mir, Meg, und nachher können wir in Ruhe über alles reden.«
»Reden? Ha! Was sollten wir uns wohl zu sagen haben, Liam?«
Sie schwieg einen Moment lang. Ihr Blick, der Liam nicht für einen Lidschlag losließ, nahm einen aufreizenden und provozierenden Ausdruck an.
»Oh Liam, mein Geliebter! Hast du nicht verstanden, dass ich für dich bestimmt war? Dieses Weib ist doch nur eine Hochstaplerin, eine Fremde. Du musst sie verstoßen und mich zur Frau nehmen. Zwischen uns bestehen Bande, von denen du nicht einmal etwas ahnst. Schon von Geburt an...«
»Gib mir das Kind... Ich flehe dich an, Meg. Es gehört dir nicht.«
Sie beugte sich über das Kind und sprach dann wieder zu Liam gewandt.
»Aber natürlich ist es meines. Es ist unseres, Liam. Unser Kind, das weißt du ganz genau. Du erinnerst dich gewiss an jene Nacht, als du von einem ziemlich erfolgreichen Überfall in Glenlyon zurückgekehrt bist. Wir haben ein wenig auf deinen Erfolg angestoßen...««
»Dieses Kind ist tot, es ist das Kind, das du in Duncans Wiege gelegt hast.«
»Duncan? Nein...«
Ihr wahnsinniger Blick huschte über uns hinweg und verhielt
wieder auf Liam. Ihre feinen Knochen standen unter der durchscheinenden Haut ihres Gesichts hervor; sie war entsetzlich abgemagert. Aber trotzdem war sie noch genauso schön wie früher.
»Der Name, den ich ihm gegeben habe, lautet...«
Sie runzelte die Stirn und zögerte, dann sprach sie so leise weiter, dass wir sie nur noch mit Mühe verstehen konnten.
»Ich kann es nicht laut sagen, denn er ist noch nicht getauft. Das ist schlecht, wisst ihr. Vor seiner Taufe darf man den Namen eines Kindes nicht laut aussprechen, das zieht den bösen Blick an.«
Liam tat einen Schritt nach vorn, sie wich zurück. Der weiße, undurchdringliche Nebel kroch auf uns zu und schloss uns noch enger ein. Einige Augenblicke lang hatte ich den Eindruck, dass mich die Leere verschlingen würde, wenn ich versuchte, diesen milchigen Vorhang zu durchschreiten. Die Vorstellung ließ mich erzittern. Stattdessen konzentrierte ich mich auf Meghan, die auf ihrem Felsbrocken stand und einer Gruselgeschichte entsprungen zu sein schien.
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