Schwert und Laute
immer noch als Ausguck.«
Wir ritten ganz nah an einigen geschwärzten Ruinen ehemaliger Hütten vorbei, von denen manche nur noch ein steinernes, von Gras und Wildblumen überwuchertes Rechteck bildeten, offensichtlich Überreste eines kleinen Dorfs. Etwas Schreckliches war hier geschehen. Liam musste meine Gedanken erraten haben, denn er hielt vor einer der Ruinen an, von deren vier Wänden nur noch eine einzige stand.
»Das war meine Hütte«, sagte er leise. »Hier befand sich einmal das Dorf Achnacone. Und das ist jetzt noch davon übrig.«
Dahinter steckte sicherlich eine traurige Geschichte. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu und wollte mich schon erkundigen, was geschehen war.
»Wie fühlst du dich?«, sprach er jedoch weiter.
Mit flinker Hand strich er mir über die Stirn und schüttelte missbilligend den Kopf.
»Ein wenig benommen...«
»Du fieberst. Sàra und die alte Effie werden sich um dich kümmern.«
»Die alte Effie?«
»Sie ist unsere Heilerin. Es heißt, sie sei eine Bean-sith, eine Fee.«
»Glaubst du an diese Geschichten?«, fragte ich neugierig.
»Nein. Effie ist nur eine gute, harmlose, alte Frau, die sich ausgezeichnet auf Heilkräuter versteht. Aber es freut die Leute zu denken, dass sie vielleicht doch eine Bean-sith ist.«
Der Teil des Tals, in dem wir uns jetzt befanden, war viel breiter als der vorherige, der Pflanzenwuchs hier war üppiger und das Gras fetter. Im Westen, flussabwärts, waren Rauchsäulen zu erkennen. Dort, wo der Fluss breiter wurde, standen mehrere Steinhütten zusammen und bildeten einen kleinen Weiler.
»Ist das Carnoch?«, erkundigte ich mich.
»Ja.«
Er gab seinem Pferd die Sporen, und wir legten die wenigen Meilen, die uns noch vom Dorf trennten, im Trab zurück. Schafe weideten gelassen auf den Hügeln. Die Bewohner hatten sich um Colin versammelt, der eine junge, blonde Frau umarmte. Das musste Sàra sein. Sie kam uns entgegengelaufen. Ihr Haar hatte das gleiche Honigblond wie das von Colin, und ihre Augen das gleiche Hellgrau.
»Liam! Liam, mo bhràthair, mein Bruder!«, rief sie mit vor Aufregung gerötetem Gesicht.
Liam sprang zu Boden, umfasste seine Schwester und wirbelte sie in einem Strudel aus Röcken und Plaid herum.
»Ciamar a tha thu, Sàra? Wie geht es dir, Sàra?«
»Thag mi gu math, a Liam, gut geht es mir. Ihr seid aber lange ausgeblieben! Ihr hättet schon vor fünf Tagen zurück sein sollen.
Ich bin vor Sorge um euch beide fast umgekommen«, schimpfte sie.
»Bah! Du hast dir ganz umsonst Gedanken gemacht, Schwesterchen. Wir hatten ein paar kleine Probleme, und dann hatte das Schiff noch Verspätung, weil die See schwer war. Wir mussten in Arbroath noch ein paar Tage warten«, erklärte Liam.
»Wie gut, dass man sich in der Stadt gut zerstreuen kann, was, Liam?«, zog Colin ihn auf und versetzte ihm lachend einen Rippenstoß.
Liam lächelte ein wenig töricht und errötete.
»Lass deine Eseleien, Colin!«, schalt Sàra.
Dann wandte sie sich mir zu und beäugte mich zweifelnd, wie im Übrigen alle anderen Einwohner auch.
»Du bist Caitlin, nehme ich an?«
»Ja«, stotterte ich schüchtern.
»Fàilte, is mise Sàra«, begrüßte sie mich. Willkommen, ich bin Sàra.
Ich neigte höflich den Kopf.
»Mein Bruder hat mir gesagt, du seiest verletzt.«
Kurz inspizierte sie mich mit vorsichtigem Blick, dann zupfte sie Liam am Ärmel.
»Bring sie in meine Kate, ich kümmere mich um sie. Ich brauche auch ein zusätzliches Bett.«
Ich ließ mich in Liams Arme fallen, und dann gingen wir vor Sàra her zu ihrer Hütte. Er setzte mich auf einer Matratze ab und tätschelte mir die Wange.
»Das wird schon wieder, mo maiseag«, sagte er leise.
Zur Antwort lächelte ich ihm schwach zu. Er wandte sich zu seiner Schwester und küsste sie auf die Stirn.
»Teich! A-mach à seo!«, stieß sie hervor und schubste ihn zur Tür. Fort, raus mit dir!
Ich schloss die Augen, weil ich nicht in der Lage war, sie länger offen zu halten. Ein tröstlicher Duft nach Eintopf kitzelte meine Nase, und mein Magen knurrte, was mich daran erinnerte, dass ich noch am Leben war. Endlich konnte ich schlafen...
Im Zimmer war es dunkel. Auf einem Gitter, das auf dem Feuer stand, dampfte ein Kessel mit Wasser. Ich hatte Mühe, die Augen offen zu halten. Sàra ging in der Hütte umher und warf mir über die Schulter verstohlene Blicke zu. Aus einem großen Schrank nahm sie ein quadratisches Stück Leinen, das sie in Streifen riss. Liam hatte mich geweckt. Er
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