Schwert und Laute
er.
Geduldig wartete er darauf, dass ich mich beruhigte und ihm in allen Einzelheiten über diese schreckliche Nacht berichtete. Etwas anderes blieb mir jetzt nicht mehr übrig.
»Ich wollte gerade zu Bett gehen«, begann ich schniefend, »doch Lord Dunning hatte mich gezwungen, ihm auf sein Zimmer zu folgen. Vorher wollte er noch hinunter in die Halle gehen, um einen Gefangenen zu verhören. Es war Liam. Er... er war gefesselt und wurde von drei Soldaten eskortiert. Während des ganzen Verhörs ist Liam gleichmütig und stumm geblieben, und das hat Lord Dunning in Wut versetzt. Er ließ ihn in eine Kerkerzelle werfen. Am nächsten Tag sollte Liam in ein Gefängnis gebracht werden... ich erinnere mich nicht mehr, in welches...«
»Das ist nicht wichtig, sprich weiter.«
»Dann hat Lord Dunning mich in sein Zimmer gezerrt...«
Ich unterbrach mich und schluckte schmerzhaft. Wenn ich die Augen schloss, sah ich das ganze Bild wieder lebhaft vor mir. Das vom Kaminfeuer schwach erhellte Zimmer, Lord Dunning, der sich seinen fleckigen Rock auszog, seine gierig funkelnden kleinen Augen. Ich war wie in Trance.
»Er... er hatte mich an die Wand gedrängt... Er war zu
schwer... Ich konnte mich nicht losmachen... Er hat mich angefasst, obszöne Dinge gesagt...«
Wieder spürte ich seinen nach Wein riechenden Atem auf meinem Gesicht, seinen abstoßenden Körpergeruch und seine Hände, die... Instinktiv verschränkte ich schützend die Arme vor der Brust.
»Irgendwann konnte ich mich losreißen, aber er holte mich ein. Er hat mich geschlagen und auf seinen Schreibtisch gestoßen... Und dort hat er mich mit seinem Siegel gebrandmarkt... Ich bin ohnmächtig geworden...«
Erneut roch ich den Gestank verbrannten Fleisches, und mir wurde übel.
»Als ich wieder zu mir kam, war er über mir... Er... er... Oh, Colin! Ich wollte nicht... ich musste ihn aufhalten...«
Ich schüttelte den Kopf, um die Bilder zu vertreiben, die auf mich einstürmten: Lord Dunning, der auf meinem Bauch auf-und abrutschte, seine verrutschte, gepuderte Perücke, die sein dickes Schweinsgesicht umrahmte, seine schweißglänzende Stirn, den Sabber, den er über mich versprühte... Colin hatte meine Hände genommen und hielt sie sanft umfasst.
»Das war nicht das erste Mal, dass er mir Gewalt antat«, flüsterte ich. »Aber dieses Mal... war es zu viel. Es hat so wehgetan. Ich musste ihm irgendwie Einhalt gebieten. Auf dem Schreibtisch lag ein kleiner Dolch... Ich habe ihn in seinen Hals gestoßen, und er ist auf mir zusammengebrochen. Das Blut... das viele Blut...«
»Schon gut, Caitlin. Es ist vorüber... Es tut mir leid, dass ich dich zwingen musste, mir all das zu erzählen.«
Ich verstummte plötzlich. Dicke Tränen liefen mir über die Wangen. Ich fühlte mich beschmutzt, gedemütigt, beschämt. Ein düsteres Schweigen hatte sich über den Raum gesenkt. Ich betrachtete meine nackten, mit Erde beschmierten Füße und sagte kein Wort mehr. Colin räusperte sich verlegen.
»Du hast nur ein einziges Mal zugestochen?«
»Ja, ich glaube...«, antwortete ich und runzelte verblüfft die Stirn.
»Bist du dir ganz sicher?«, beharrte er.
»Ja.«
»Und danach, was hast du getan? Ich muss es wissen.«
»Danach bin ich aus dem Zimmer gelaufen. Ich musste fliehen... das Herrenhaus so rasch wie möglich verlassen. In diesem Moment bin ich Liam begegnet, der aus dem Keller kam. Er hatte sich befreien können. Er zwang mich, ihm zu folgen... den Rest kennst du.«
Colin zog seinen Stuhl vor mich hin, setzte sich und rieb sich die Augen. Er wirkte niedergeschlagen, und seine Züge waren angespannt. Das Schweigen schien ewig zu währen, doch schließlich sah er zu mir auf.
»Nach dir muss noch jemand im Zimmer gewesen sein, Caitlin«, erklärte er.
»Was meinst du?«
Ich verstand nicht. Er nahm seinen Whiskybecher und führte ihn an die Lippen. Einen Moment lang zögerte er und sah mich über den Rand des Bechers hinweg an, dann leerte er ihn in einem Zug.
»Als man Dunnings Leiche fand, war sie... furchtbar zugerichtet.«
»Was?«, rief ich aus. »Das war ich nicht...«
»Ich glaube dir, Caitlin, ich glaube dir ja«, beruhigte er mich und legte mir die Hand auf den Arm.
Bestürzt sah er auf seine Finger herunter, die auf dem schmutzigen Stoff meines Hemds lagen. Abrupt zog er sie zurück, als hätte er sich verbrannt, schenkte ein drittes dram Whisky ein und hielt mir den Becher hin. Ich schüttelte ablehnend den Kopf, und er stellte ihn vor sich
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