Schwerter der Liebe
das Zimmer verließ, als wolle er eigentlich lieber nicht gehen. Sein Blick war auf Gabriel gerichtet, wanderte aber einmal kurz zu ihr. Erst als er an der Tür war, drehte er sich um und ging dann hinaus auf den Laubengang.
Erst als sie sich sicher sein konnte, dass er fort war, holte sie tief Luft und seufzte leise. Sie hielt weiter Gabriel in ihren
Armen und drückte dessen kleinen, allmählich wieder wärmer werdenden Körper fester an sich, als könnte er ihr Trost spenden.
Nach dem Abend in den Tivoli Gardens hatte sie sich vor einem Wiedersehen mit Nicholas gefürchtet. Da war diese heimliche Angst, er könnte sie erkannt haben und nun schlecht von ihr denken, weil sie sich ihm beinahe hingegeben hatte. Vielleicht zweifelte er bereits daran, ob eine Heirat wirklich eine so gute Idee war. Warum ihr solche Gedanken kamen, wusste sie nicht, immerhin war er wohl kaum in einer Position, dass er ihr Vorwürfe machen konnte. Schließlich war er doch derjenige, dem der Ruf des außergewöhnlichen Liebhabers anhing und für den ein mitternächtliches Stelldichein etwas Alltägliches war, oder etwa nicht? Er war genauso wie sie in dieser Gartenlaube gewesen, er hatte sie geküsst, wie sie ihn küsste, und jede Berührung, die sie zugelassen hatte, war von ihm ausgegangen. Warum also sollte sich die Frau so fühlen, als hätte sie sich wollüstig verhalten, und warum sollte es verkehrt sein, dass sie an diesen Augenblicken in der Dunkelheit Gefallen fand? Ihm hatten sie schließlich auch Lust bereitet.
Sie hatte jeden Moment genossen und die wunderbarste Mattigkeit verspürt, bis hin zu einem erstaunlichen Impuls, alle Vorsicht in den Wind zu schlagen und wahrhaftig wollüstig zu sein. Allein das Wissen, dass Nicholas sie für eine andere, ihm fremde Frau hielt, hatte sie davon abhalten können. Obwohl ... wenn sie ehrlich sich selbst gegenüber war, spielte auch die Angst mit hinein, jene Rolle der braven, zurückhaltenden Schwester abzulegen, die sie so lange gespielt hatte - die Reine, die Unberührte und Unberührbare. So war sie immer gewesen, so hatte sie sich stets gesehen, dass sie sich kaum vorstellen konnte, was aus ihr werden sollte, wenn sie plötzlich nicht mehr so war.
Sie konnte eigentlich nur hoffen, dass es ihr gelang, wieder in die Rolle der frommen zukünftigen Ehefrau und Mutter zu schlüpfen. Es war die Rolle, in der Nicholas sie se-hen wollte und in der er sie brauchte, und das galt auch für die Jungs, die er wie leibliche Kinder angenommen hatte. Er würde von ihr erwarten, so rein und unberührt wie eine Madonna zu sein. So sah er sie, so brauchte er sie in seinem Leben, und so würde sie für ihn da sein.
Valara kehrte mit ihrem Heilmittel zurück, einer Mischung aus Zitronensirup, Salz und einer kleinen Portion Granatapfelsirup, die in etwas Wasser aufgekocht wurde. Mit einiger Mühe konnten sie Gabriel wecken, damit er etwas von dem Mittel zu sich nahm. Es schien ihm zu schmecken, da er sich die Lippen leckte, obwohl er die Augen weiter geschlossen hielt.
»Das ist ein gutes Zeichen«, erklärte Valara, die neben dem Schaukelstuhl stand und das Kind mit zusammengekniffenen Augen musterte. »Jedenfalls wird es das sein, wenn er alles bei sich behält.«
Juliette murmelte zustimmend und schloss die Augen, um ein kurzes Gebet zu sprechen, während sie sanft mit dem Stuhl vor und zurück schaukelte.
Als es nach einer Weile so aussah, dass er das Mittel nicht wieder erbrach, gaben sie ihm noch einen Löffel, später dann noch welche, bis die Tasse halb leer war und er nichts mehr zu sich nehmen wollte. Juliette hätte ihn noch einmal aufgeweckt, doch Valara legte ihr eine Hand auf die Schulter.
»Lass ihn schlafen, chere. Es ist das Beste für ihn, und ich bin mir sicher, es ist ein Trost für ihn, dass du ihn an dein Herz hältst.«
»Ich hoffe, es ist wirklich so«, erwiderte Juliette leise.
Die alte Zofe lächelte. »Es sind die Kleinen, die uns am meisten zu Herzen gehen, nicht wahr? Er braucht dich jetzt wirklich.«
»Vielleicht brauche ich ihn ja auch.«
»Und was ist mit dem Mann, zu dem er gehört?«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Ich bin vielleicht alt, aber nicht blind. Du bist für die
Liebe geschaffen, meine liebe Juliette. Es steckt in deinem Lächeln, in deinem Gang. Du bist zu sehr von Liebe und Freude erfüllt, als dass du beides einfach in deinem Herzen wegschließen könntest. Du kannst dich um die Kinder anderer Menschen kümmern und für sie beten, aber
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