Schwerter der Liebe
nach dem Klang zu urteilen recht leichte Personen, die keine Stiefel mit Absätzen trugen, sondern gewöhnliche Schuhe. Als sie sich der Tür näherten, konnte Nicholas hastiges, angestrengtes Atmen hören, woraufhin er beunruhigt aufsprang. Noch bevor er die Tür erreicht hatte, wurde sie aufgestoßen.
Seine Straßenjungs kamen wie eine Meute wilder Hunde hereingeplatzt. Sie waren blass, die Augen waren weit aufgerissen, und als sie auf ihn losstürmten, redeten sie alle gleichzeitig auf ihn ein. Mitten in der Gruppe befand sich Squirrel, der eine kleine, schlaffe Person in seinen Armen hielt.
»M’sieur Nick, M’sieur Nick!«
»Es ist Gabriel, M’sieur Nick. Tun Sie doch was!«
»Er stirbt, M’sieur Nick.«
»Sie müssen sofort was tun!«
Zwölftes Kapitel
»Juliette!«
Es klang so, als würde jemand vom Innenhof aus ihren Namen rufen. Prompt wandte sie sich vom Wäscheschrank ab, wo sie die Laken zählte und auf Risse oder Mottenlöcher untersuchte, die geflickt werden mussten. Es war Nicholas. Seine Stimme würde sie unter Tausenden heraushören. Was sie aber nicht kannte, war der besorgte, fast schon panische Tonfall.
Sofort band sie ihre Schürze ab, drückte sie zusammen mit der Liste, an der sie gearbeitet hatte, Valara in die Hand, die zu ihr gekommen war, um ihr bei der Arbeit zu helfen. Ihre Finger zitterten ein wenig, als sie ihr Haar glättete, das sie im Nacken als Chignon trug. Ob es der unangekündigte Besuch oder die Erinnerung an den Abend zuvor der Grund für ihr Zittern war, wusste sie nicht. Sie fühlte nur plötzlich eine solche Angst, wie sie sie schon lange nicht mehr empfunden hatte.
An der Tür zum Laubengang angekommen, blieb sie abrupt stehen. Paulette stand dort am Geländer, das Kinn gereckt und die Arme vor der Brust verschränkt. Herablassend schaute sie nach unten in den Hof, und als sie Juliette bemerkte, wandte sie sich ab und ging weg.
»Juliette!«
Sie verstand sofort, was hier abgelaufen war. Nicholas hatte Paulette gesehen, sie für Juliette gehalten und nach ihr gerufen. Anstatt ihn auf seinen Irrtum aufmerksam zu machen, tat Paulette so, als wäre es ihre Zwillingsschwester, die ihm die kalte Schulter zeigte. Es war ein gehässiger Trick, der Juliette wütend machte, doch noch schlimmer war das Gefühl, als sie allen Mut und alle Hoffnung verlor. Ihr Verlobter konnte sie nicht von ihrer Zwillingsschwester unterscheiden, und genauso war er nicht in der Lage gewesen, sie zu erkennen, als sie auf dem Maskenball ihr Kostüm getragen hatte. Er sah nur die Oberfläche, aber er wusste nicht zu schätzen, was sich darunter befand.
Nicholas kam aus dem im Schatten liegenden Gang der Tordurchfahrt hervor. In diesem Moment sah Juliette den kleinen Jungen, den er in seinen Armen hielt, und dann traten auch die anderen Straßenjungs aus dem Schatten hinter ihm.
»Hier, Nicholas, ich bin hier«, rief sie, eilte zum Geländer und beugte sich vor. »Was ist los?«
»Es geht um Gabriel. Er ist krank.«
»Bringen Sie ihn in mein Schlafzimmer, schnell!«
Ein Stück den Laubengang entlang stand ihre Zwillingsschwester und stieß einen wütenden Aufschrei aus. Juliette sah Paulette zornig an und verdammte ihre Art von ganzem Herzen. Dann stieß sie sich von Geländer ab, rief nach Valara und rannte los, um Nicholas an der Treppe zu empfangen.
Gabriel, der arme kleine Wurm, glühte, so hohes Fieber hatte er. Sein Atem ging flach und langsam, und die Ringe unter seinen Augen waren so dunkel wie Blutergüsse. Dass etwas mit seinem Magen nicht Ordnung sein konnte, machte der Geruch deutlich, der von dem Jungen ausging und von dem Schmutz auf seinem verdreckten Hemd und auf seinen dünnen kleinen Beinen. Valara genügte ein Blick auf den Jungen, dann begann sie mit tiefer, fester Stimme Anweisungen zu erteilen. Juliette hörte aufmerksam zu, nickte und sorgte dann dafür, dass alles schnellstens ausgeführt wurde.
Eine kleine verzinkte Blechwanne wurde in Juliettes Schlafzimmer aufgestellt, dann wurden Kannen mit warmem Wasser aus der Küche nach oben geschafft. Gemeinsam zogen Juliette und Valara den Jungen aus und legten ihn in die Wanne, dann befreiten sie ihn von dem Schmutz auf seinem Körper. Sie hielten ihn gemeinsam fest, obwohl er stöhnte und strampelte, während mehr Wasser — diesmal kaltes — gebracht wurde, damit das heiße Badewasser ein wenig abkühlte.
Plötzlich hörte Juliette ein lautes Aufstöhnen, das von der Tür kam. Sie blickte auf und sah ihre Mutter
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