Schwerter der Liebe
Gedanken kreisten um dieses Rätsel, als er mit Juliette durch die Rue St. Louis schlenderte, begleitet von Valara, die ihnen mit drei Schritten Abstand folgte. Es war nicht so, dass es ihm bei ihrem Anblick auf Anhieb den Atem verschlug, wie es bei manchen Schönheiten vorkam. Doch sie hatte etwas an sich, das sich wie der fahle Schein des aufgehenden Mondes langsam seinen Weg in das Bewusstsein bahnte. Sie hatte etwas Natürliches an sich, und genau das machte sie so anziehend. In ihrem Auftreten zeigte sie sich ruhig und ehrlich. Ihr Lächeln kam von Herzen, und jeder, der ihr auf der Straße begegnete, erwiderte dieses Lächeln, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Nur wenige dieser Menschen ließen aber ihrem Begleiter gegenüber die gleiche Freude erkennen. Zwar dämpfte das ein wenig Nicholas' Vergnügen an diesem Spaziergang, doch es änderte nichts an seinem Stolz und seiner Begeisterung, Juliette bei sich untergehakt zu wissen.
Sie war an diesem Morgen höchst erlesen gekleidet, da sie ein Straßenkostüm aus blau mit rosafarben abgesetzter Seide trug, dazu rosefarbene Blumen auf dem Hutrand. Ihr Haar war fast vollständig bedeckt, ausgenommen ein Chignon in Form einer Acht, das sich an ihren Nacken schmiegte. Gestern jedoch hatte Nicholas sie gesehen, ohne dass ihr Haar vor ihm verborgen gewesen war. Von einem gewöhnlichen Braunton war es weit entfernt, vielmehr wurde es durch einen goldenen Glanz aufgehellt und war durchsetzt mit kas-tanienbraunen Strähnen, und hier und da konnte man einen Schimmer bemerken, der ins Bläuliche reichte. Der Wunsch, sie mit offenem Haar zu sehen, zu erleben, wie es sich über ihre Schultern und ihre Brüste legte, ließ seine Finger so nervös werden, dass er am liebsten die Nadeln herausgezogen hätte, die ihr Haar zusammenhielten. Die Aussicht darauf gehörte mit zu den Gründen, die in ihm den Wunsch weckten, die Hochzeit so bald wie möglich stattfinden zu lassen.
Ein anderer Grund waren die Jungs, die ihnen in einigem Abstand auf der anderen Straßenseite folgten. Der Damenhut, den Juliette aufgesetzt hatte, verhinderte nach Nicholas' Meinung, dass sie die Bande sehen konnte. Doch das hielt die Jungs nicht davon ab, sie von der Oberkante ihres erlesenen Strohhuts bis zu den Spitzen ihrer blauen Lederschuhe zu mustern. Zweifellos wollten sie sich ein Bild davon machen, welche Art von Mutter diese Lady wohl abgeben würde und ob sie sie letztlich dulden würden. Nicholas entging nicht, dass Gabriel keine derartigen Vorbehalte zu haben schien. Hätte Squirrel ihn nicht beharrlich zurückgehalten, dann wäre der Junge wohl geradewegs zu ihr gerannt.
Der Junge besaß einen guten Instinkt. Am Abend zuvor hatte Nicholas eine Weile darüber nachgedacht, welche Rolle Juliette spielen würde, für sie alle ein Zuhause zu schaffen. Seine Gedanken waren nach einer Weile zu einem leiblichen abgeschweift, der vielleicht Juliettes ungewöhnliche grün-goldene Augen hätte. Diese Überlegungen hatten ihn fast zwangsläufig zu dem Moment geführt, in dem er sie liebte, damit ein gemeinsames Kind überhaupt erst Realität werden konnte. Zu diesen Gedanken gesellte sich die Vorstellung, wie ihr seidenweiches Haar über seine Haut strich, wie sich ihr Busen auf seiner Brust anfühlte, wie sie ihre Beine um die seinen schlang. Und dann erst ihre Hände ... oh, ihre Hände ...
Es war eine lange und unbequeme Nacht gewesen. Obwohl er wusste, dass er kaum würdig war, den Saum ihres Kleids zu berühren — von ihrem zweifellos keuschen Nachthemd ganz zu schweigen -, änderte es nichts daran, in welche Richtungen seine Gedanken wieder und wieder abschweiften.
Und dass er jetzt erneut darüber nachdachte, trug keineswegs dazu bei, dass er sich entspannte. Die Kaschmirhose, die er am Morgen zu einem grauen Gehrock angezogen hatte, gehörte nicht zu der Art von Kleidung, die geeignet war, um die Folgen zügelloser männlicher Fantasie zu überspielen. Es war an der Zeit, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen.
Gerade setzte er zum Reden an, um Juliette zu fragen, ob sie interessiert sei, sich eine neue Komödie mit dem Titel Eine Lektion für die Ladies anzusehen, die in Kürze im St. Charles Premiere feiern würde, da kam sie ihm mit einer Bitte zuvor.
»Würde es Ihnen sehr viel ausmachen, wenn wir noch kurz bei Madame Ferret Vorbeigehen könnten? Es gibt da noch eine Sache, die ich mit ihr klären muss.«
»Wie Sie wünschen«, antwortete er, obwohl er diesen Umweg lieber vermieden
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