Schwerter der Liebe
Hiebe mit seinem Degen, einen Augenblick später war im weichen Holz der Tischplatte der Buchstabe >B< zu lesen. Damit ahmte er das Zeichen nach, das angeblich Croquere hinterlassen hatte. Dann drehte er sich so schnell herum, dass sein Mantel um ihn herumwirbelte, kletterte aus dem Fenster und beschrieb im Sprung eine Drehung, um von außen die Fensterbank zu fassen zu bekommen. Einen Moment lang hielt er sich mit den Fingerspitzen an der Kante fest, dann ließ er sich zu Boden fallen. Als Cables Hilferuf durch die Gallatin Street schallte, war Nicholas bereits in die Nacht verschwunden.
Achtes Kapitel
Die von Nicholas versprochene Einladung traf am Nachmittag des folgenden Tages im Stadthaus der Armants ein. Überbracht wurde sie von einem Diener, der darauf beharrte, sie ausschließlich Juliette höchstpersönlich zu überreichen. Aut dickem Pergament und schwungvoll und elegant von weiblicher Hand geschrieben, sagte die Nachricht lediglich aus, Madame Caid O’Neill bitte um ihre Anwesenheit bei einem literarischen Abend, der am kommenden Donnerstag von acht Uhr bis Mitternacht stattfinden würde. Ferner schrieb sie, sie würde sich sehr freuen, wenn Juliette sich bereits eine Stunde früher zu einer Erfrischung im Stadthaus der O’Neills einfinden könnte, da sie sich mit ihr unter vier Augen unterhalten wollte.
Die Einladung war formlos und freundlich und erinnerte Juliette an die reizende und sehr elegante Lady, der sie am Abend zuvor begegnet war. Sie lächelte, da sie sich schon jetzt auf dieses Wiedersehen freute. Zum Teil rührte ihre Freude daher, dass sie damit rechnen konnte, auch Nicholas wiederzusehen. Sie war ehrlich genug, sich das einzugestehen, auch wenn sie es nur sich selbst gegenüber tat. Vielleicht zeigte sie damit Schwäche, doch es schien nicht so, als könnte sie es verhindern.
Sie fragte sich sogar, ob sie es wagen sollte, Lisette O’Neill auf die anderen Frauen in Nicholas’ Leben anzusprechen. Als Ehefrau seines besten Freundes musste sie doch irgendetwas darüber wissen, wer diese Frauen waren, wie sie aussahen und wie die jeweilige Affäre geendet hatte. Juliette wusste, sie sollte sich nicht dafür interessieren, sondern die Vergan-genheit ruhen lassen. Eine Ehefrau sollte über solche Dinge ja sogar dann hinweggehen, wenn sie sich nach der Heirat ereigneten. Dennoch war sie sich nicht sicher, ob sie sich mit weniger als klaren Antworten zufriedengeben konnte.
Da war auch diese Neugier, wie wichtig ihm die anderen Ladies gewesen waren und wie er das Ende jener Beziehungen aufgenommen hatte. Juliette konnte sich nicht vorstellen, mit einem anderen Menschen intim zu sein — so wie es der Fall gewesen sein musste - und anschließend rein gar nichts mehr zu empfinden, wenn alles vorüber war. Es hieß, dass Männer dem nur wenig Bedeutung beimaßen, was über die reine Leidenschah der körperlichen Vereinigung von Mann und Frau hinausging, doch wie das möglich sein sollte, das konnte sie sich nicht erklären.
Noch immer fragte sie sich auch, was diese Frauen für ihn so anziehend gemacht hatten. Hatte sie selbst irgendetwas an sich, das sein Verlangen entfachen konnte? Er war stets freundlich und kannte sich mit dem weiblichen Wesen gut genug aus, um sich ein klein wenig Koketterie hinzugeben. Doch sein Auftreten ihr gegenüber war so sehr von Respekt geprägt, dass sie sich nicht vorstellen konnte, er würde in ihr eine Geliebte sehen.
Es war ja nicht so, dass sie sich wünschte, er könne sich vor Leidenschaft kaum noch beherrschen, und sie wusste auch, sie sollte mit einem solchen Verhalten gar nicht erst rechnen. Dennoch war es schlimm genug, aus Gründen der Vernunft zu heiraten. Da musste sie nicht auch noch das Gefühl bekommen, ihr Ehemann könne es als mühselige Arbeit ansehen, sie in sein Bett mitzunehmen.
»Welchen Grund hast du denn, so missmutig dreinzublicken?«
Juliette hob erschrocken den Kopf und sah Paulette, die über sie gebeugt dastand. Dass ihre Zwillingsschwester in den Salon gekommen war, hatte sie überhaupt nicht gemerkt, so sehr war sie in Gedanken versunken gewesen. Sie dachte, Paulette liege noch im Bett, aber zumindest sah es so aus, als sei sie auch eben erst aufgestanden. Ihr Haar hing zu einem unordentlichen Zopf geflochten bis auf ihren Rücken, sie war barfuß und trug unter ihrem offenen Überwurf nur ein weißes Batistnachthemd.
»Nichts«, erwiderte sie rasch, faltete das Blatt Papier zusammen und steckte es in die Tasche, die um ihre
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