Schwerter und Rosen
Seit dem Moment, in dem er erfahren hatte, dass er bei dem Sturm dabei sein würde, erfüllte ihn eine Mischung aus Vorfreude, Furcht und Aufregung, und nur mit Mühe hatte er einige Löffel lauwarmen Haferschleim in sich hineingezwungen. Während er den Knauf seiner Waffe umklammerte, als könne diese ihn vor allem Unglück bewahren, stapfte er – inmitten einer Armee und dennoch allein – durch die Brandung. Unwillig biss er die Zähne aufeinander, um diese davon abzuhalten, weiter aufeinanderzuschlagen. Mit wild klopfendem Herzen folgte er Henry of Cirencester, der ihn in den vergangenen Wochen in die Geheimnisse des Nahkampfes eingeweiht hatte. »Dann nehmt ihn eben in drei Teufels Namen mit!«, hatte der Earl of Essex wegwerfend ausgespuckt, als Henry of Cirencester darum gebeten hatte, sich Harold für dieses Unterfangen auszuleihen. Der Earl selbst war – genau wie John of Littlebourne – im Lager zurückgeblieben, um zu verhindern, dass die Sizilianer den Angreifern in den Rücken fielen. Ein Warnruf ließ den Knaben den Kopf einziehen. Keine drei Steinwürfe vor ihm klatschten die ersten Geschosse der Griffons ins Meer, allerdings ohne ernsthaften Schaden anzurichten. Als sich seine in schweren Panzerstiefeln steckenden Füße schon fast an das kalte Wasser gewöhnt hatten, erreichten die Flügel, die sich inzwischen breit aufgefächert hatten, das Ufer und Harold ging tropfend an Land. So lautlos wie möglich legten die Angreifer die Kettenhemden und Brustpanzer wieder an, die sie über dem Kopf durch das seichte Wasser getragen hatten. Harold folgte dem Beispiel der anderen, befestigte den Schild auf seinem Rücken und band sein Schwert mit einem Riemen an seinem Oberschenkel fest. Dann begann er den Aufstieg zu dem Kloster, das mehr einer stark befestigten Burg als einem Gotteshaus glich. Die kreischenden Seevögel, die um einen von mächtigen Zinnen gekrönten Bergfried kreisten, schienen die Einheimischen warnen zu wollen. Und schon bald regnete ein Pfeilhagel auf die Engländer hinab, denen der vorspringende Fels jedoch etwas Schutz bot.
Trotz des beschwerlichen und gefährlichen Erklimmens der zerklüfteten Felsen legte sich Harolds Furcht allmählich, und er empfand beinahe etwas wie Hochstimmung, als er sich geschickt an Wurzeln und Vorsprüngen in die Höhe zog. Sein erstes Gefecht! Das Klirren von Metall klang mit einem Mal süß in seinen Ohren, und er malte sich aus, wie er sich am heutigen Tag hervortun konnte. Vielleicht gelang es ihm, sich durch Heldenmut einen Namen zu machen, den selbst Richard Löwenherz nicht mehr vergessen konnte. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Wer wusste schon, was alles geschehen konnte! Die Vorfreude wollte sich gerade weiter in ihm ausbreiten, als über ihm Schreie erklangen. Kurz darauf polterten kleine Felsbrocken in die Tiefe – gefolgt von den ersten Männern der Vorhut, welche die Mauerkronen inzwischen mit Haken bezwungen hatten. Und Harolds Begeisterung verwandelte sich ohne Vorwarnung in Todesangst. Mit schreckgeweitetem Blick suchte er nach Deckung, aber da der Felsen sich allmählich abflachte, waren sie inzwischen weithin sichtbar. Über ihm hoben sich die wohlbekannten Farben seines Vaters, des Earls of Huntingdon, von dem kalkweißen Hintergrund der Klippen ab. Und als Harolds Blick auf Guy de Brassard – den Ritter seines Vaters – fiel, durchzuckte ihn eine schreckliche Vorahnung. Diese bewahrheitete sich nur wenig später, als der Ritter mit einem kehligen Schrei den Halt verlor – durchbohrt vom kurzen Geschoss einer Armbrust. Obwohl alles in rasender Geschwindigkeit geschah, erschien es Harold, als habe jemand die Zeit angehalten. Deutlich konnte er die Verwirrung auf Guys Zügen ausmachen, dessen Hand immer noch die Waffe hielt. Als der Körper des Ritters auf den von der Brandung umspülten Felsen aufschlug, schloss Harold einen Moment lang die Augen, um nicht vor Entsetzen zu straucheln. Während mehrere Dutzend Engländer ameisengleich an ihm vorbeikletterten, umkrallte die zitternde Hand des Knaben krampfhaft eine der dicken Wurzeln, und er starrte erschüttert auf die leblos ans Ufer treibende Gestalt seines Gefährten. »Weiter!«, trieb einer der Jungritter ihn mit einem groben Stoß in die Rippen an. »Worauf wartest du?!« Mit einem trockenen Schlucken riss Harold sich von dem grauenhaften Anblick der zerschmetterten Glieder los, holte tief Atem und setzte den Anstieg fort, bis er nach wenigen Minuten das Felsplateau
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