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Schwerter und Rosen

Schwerter und Rosen

Titel: Schwerter und Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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hinterher. Als auch dieses Wurfgeschoss einen Fladen aus der brüchigen Mauer löste, trat er ungehalten gegen den bereits mehrfach gekitteten Wasserkrug vor seinem Bett, der mit einem vorwurfsvollen Krachen in tausend Stücke zersprang. Warum hatte er nicht mit diesem ehrlosen Schritt gerechnet?, haderte er, während er gedankenverloren die Tonscherben zur Seite schob. Warum hatte er nicht veranlasst, dass Nathan das Mädchen bei Verwandten oder Bekannten verbarg? Missmutig drehte er das eng verschnürte Paket, das der Jude ihm nach ihrer Unterredung in die Hand gedrückt hatte, in den Händen, bevor er es öffnete und den Inhalt auf der klumpigen Matratze seiner Bettstatt ausbreitete. Neben einem mitternachtsblauen Kaftan aus eng verwobener Seide enthielt das Bündel eine weite Kopfbedeckung, die im Nacken bis auf die Schulterblätter fiel, um den Träger vor der Sonne zu schützen. Warum hatten weder Nathan noch er selbst die List der Prinzessin vorhergesehen? Mit einem weiteren Fluch zog der Tempelritter das abgetragene Beutelchen mit seiner gesamten Habe aus den Falten seines Gewandes und wühlte darin herum. Doch außer dem Siegelring seines Vaters verbarg sich dort nichts mehr, was sich zu Geld hätte machen lassen. Nachdenklich drehte er das Kleinod in den Händen und rief sich die Unterhaltung mit der Schwester des Sultans zurück ins Gedächtnis.
    War es möglich, dass sein Vater …? Wenn er an seine immer mehr verblassende Kindheit zurückdachte, erinnerte er sich daran, dass in den letzten Jahren ihrer Ehe eine gewisse Kühle zwischen seine Mutter und den Ritter des Königs getreten war. Diese hatte Curd jedoch auf die Tatsache geschoben, dass sich die einstmals viel gerühmte Schönheit seiner Mutter – der Tochter Balians von Ibelin – durch ein unbekanntes Leiden in aufgedunsene Fettleibigkeit verwandelt hatte. In den seltenen Fällen, in denen sein Vater mehr als ein paar Nächte auf der heimatlichen Festung zugebracht hatte, schien er sich mehr für seine Jagdfalken interessiert zu haben als für seine frühzeitig ergraute Gattin. Als diese dann kurz nach dem Tod ihres Gemahls samt dem lang ersehnten zweiten Kind im Kindbett gestorben war, hatte Curd tagelang um sie getrauert, bevor er – damals kaum zwölfjährig – schweren Herzens seinen Abschied von der Kreuzfahrerburg genommen hatte und in den Dienst der Tempelritter getreten war. Mühsam beschwor er das Andenken an den tapferen, hünenhaften Recken herauf, den er als seinen Vater gekannt hatte. Dieser war nur wenige Wochen vor seiner Gemahlin nach langem Leiden einer im Kampf erlittenen Beinverletzung erlegen. Wochenlang hatte der stark geschwächte Ritter mit dem Tod gerungen, ehe er sich schließlich – nach mehrfacher Amputation der verstümmelten Gliedmaße – den gefürchteten Wundbrand zugezogen hatte, der ihn innerhalb von vierundzwanzig Stunden dahingerafft hatte. Es konnte nicht sein! Entschlossen steckte Curd den Siegelring zurück unter seine Cotte und atmete tief durch. Hatte sein Vater ihn nicht immer mit der grenzenlosen Liebe und Geduld behandelt, die man nur einem leiblichen Sohn entgegenbringen konnte?
    Und dennoch … Die Augen des Sarazenen auf der Miniatur im Palast wiesen dieselbe goldbraune Färbung auf wie die seinen, und der Verlauf der starken Brauen glich dem der seinen wie ein Ei dem anderen. Auch in den widerspenstigen dunklen Locken und dem geraden Nasenrücken erkannte Curd die eigenen Züge wieder, und es hätte weder der langen Wimpern noch des stolzen Blickes bedurft, um den jungen Tempelritter an seiner Herkunft zweifeln zu lassen. Was, wenn die doppelzüngige Shahzadi die Wahrheit gesagt hatte, und er tatsächlich der Neffe des mächtigen Salah ad-Din war? Würde das nicht das rätselhafte Verhalten des Sultans erklären? Die unbegreifliche Milde nach der Schlacht von Hattin, die jeden seiner Glaubensbrüder das Leben gekostet hatte außer ihn? Mit einer ungeduldigen Bewegung zog er das abgetragene Surkot über den Kopf und schlüpfte in die ungewohnte Tracht, die er auf dem Bett ausgebreitet hatte. Wie seltsam sich der fremdartige Stoff auf seiner erhitzten Haut anfühlte! Leicht wie ein Schleier legte sich die leise raschelnde Seide um die breiten Schultern des jungen Mannes, der unvermittelt an die Tränen in den Augen des jüdischen Kaufherrn zurückdachte, als er diesem den Vorschlag unterbreitet hatte, den er als einzigen Ausweg aus der prekären Lage sah. Am Morgen des folgenden Tages würde Curd

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