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Schwerter und Rosen

Schwerter und Rosen

Titel: Schwerter und Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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kniff Harold ein letztes Mal das rechte Auge zu und ließ das Geschoss mit einem lauten, »verdammt!«, von der Sehne schnellen. Lachend klopfte ihm Cirencester auf die Schulter, als der Pfeil mehrere Meter vom Ziel entfernt in einen Baumstumpf einschlug, in dem er federnd stecken blieb. »Du hast ihn zu lange gehalten«, belehrte er den Jungen, der missmutig zu ihm aufblickte, während er sich mechanisch den linken Unterarm rieb. Zwar hatte er auf Anraten des Wildhüters eine der groben Lederschienen angelegt, um sich vor dem Rückschlag der Sehne zu schützen. Doch der Aufprall war immer noch schmerzhaft genug. »Je länger du die Sehne spannst, desto schwieriger wird es, den Arm ruhig zu halten«, setzte der Ritter mit einem Lächeln hinzu. Zu gewaltig waren die Zugkräfte, die auf die Waffe wirkten. Und obwohl normalerweise nur Männer von niedrigerem Rang lernten, diese englischste aller englischen Waffen zu führen, hatte Harold den Vorschlag des Ritters, auch den Umgang damit zu üben, mit Feuereifer aufgegriffen. Nicht umsonst hatte er immer mit seinem Freund Robin of Loxley, der ein begnadeter Schütze war, um die Wette geeifert und dabei stets unter viel Gelächter verloren.
    Vorsichtig legte er den Bogen ins Gras, um die verschossenen Pfeile aufzusammeln. Während er die Hand an die Stirn legte, um sich vor der tief stehenden Sonne zu schützen, trabte er auf das entgegengesetzte Ende des Platzes zu, befreite die Geschosse aus der Grasnarbe und klemmte sie sich unter den Arm, ehe er sich auf den Rückweg machte. Die dunklen Gefühle, die ihn nach dem Angriff auf das Kloster mehrere Tage lang mürrisch und lustlos gemacht hatten, waren in der Obhut des hünenhaften Ritters bald vergessen. Und wenngleich Harold sich immer noch Vorwürfe machte, einen wehrlosen Novizen erschlagen zu haben, hatte er inzwischen gelernt, mit der Last auf seinem Gewissen zu leben. Da ein Angriff auf die Stadt Messina unmittelbar bevorstand, hatte Henry of Cirencester darauf bestanden, ihn auch in den Umgang mit der Schusswaffe einzuweihen, da man nie wissen konnte, wann eine solche Fertigkeit Leben retten konnte. »Im Krieg gibt es nichts, was unter deiner Würde sein darf«, hatte er den Knaben ernst ermahnt. »Denn sonst fällst du deinem eigenen Zaudern zum Opfer.« Dankbar für die Mühe, die der Ritter sich mit ihm gab, hatte Harold gelehrig genickt und war dem erfahrenen Kämpfer auf den Übungsplatz gefolgt.
    Nach wie vor fragte sich der Junge, ob er sich an dem schicksalsschweren Abend im Tower verhört hatte, als er den Eindruck gewonnen hatte, dass die Männer um seinen Dienstherrn, den Earl of Essex, eine Verschwörung planten. Doch da bisher – sah man einmal von dem geheimnisvollen Tod des Earls of Arundel in der Nacht von Harolds Ankunft in London ab – keine weiteren Vorkommnisse den Wahrheitsgehalt dieser Annahme untermauert hatten, geriet Harold mehr und mehr ins Zweifeln. Nur noch selten trafen sich die Männer im Zelt des misstrauischen Essex, und wenn es dem Knaben durch Zufall gelang, ein paar Gesprächsfetzen aufzugreifen, dann handelte es sich meist um unwichtige, das alltägliche Leben betreffende Dinge. »Am besten du übst noch ein wenig«, ermunterte ihn der rothaarige Henry, bevor er sich mit einem letzten Blick auf den Knaben abwandte und auf das Heerlager zuschlenderte, über dem das Geschrei italienischer Weiber und das Gekläffe von Kötern hingen. Soeben schob sich eine bedrohlich schwarze Wolkenwand von Westen her über die Sonne, und auch der Wind frischte merklich auf.
    Harold hatte gerade die überraschend leichte Waffe wieder an die Wange gehoben, um mit einer weiteren Schussfolge sein Glück zu versuchen, als in der Ferne die durchdringenden Fanfaren des englischen Königs erklangen. Verwundert senkte er den Bogen, stopfte die biegsamen Pfeile in den Köcher zurück und folgte den neugierig in die Mitte des Zeltlagers strömenden Männern, während sich die ersten dicken Tropfen aus der gewittrigen Front lösten. Da die meisten der Soldaten ihn um Haupteslänge überragten, hatte der Knabe Schwierigkeiten, in den innersten Ring vorzudringen, wo bereits Richard Löwenherz‘ sonorer Bass erscholl. Immer wieder wich er Ellenbogen aus, duckte sich unter erhobenen Armen hindurch und quetschte sich an ihm erzürnt nachblickenden Rittern und Fußsoldaten vorbei, bis es ihm schließlich gelang, einen leicht erhöhten Standpunkt in der Nähe der Galgen zu erreichen. Auch dort drängten sich

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