Schwerter und Rosen
Vasallen – als Grund für die überhastete Abreise vorgeschoben. Doch keine Sekunde ließ Richard sich davon blenden, dass die angeblich ungeklärte Erbfolge des Grafen von Flandern und Vermandois die Anwesenheit des Königs erforderte. Viel mehr – so vermutete er – war Philipp von Frankreich darauf aus, den mit dem englischen Herrscher geschlossenen Vertrag zu brechen und sich die strittigen Gebiete in Frankreich ohne großen Widerstand anzueignen. Und vermutlich würde er in Richards treulosem Bruder, John Lackland, einen willigen Verbündeten finden. »Dann geht doch«, schickte er der sich entfernenden Hinterhand des Schlachtrosses nach, auf dem der Franzose übermäßig schmalbrüstig wirkte. Dann würde er den Ruhm nicht teilen müssen, wenn er die Heilige Stadt endlich wieder aus den Händen der Ungläubigen befreite!, dachte er grollend. Salah ad-Din würde am nächsten Tag ohnehin eine unangenehme Überraschung erleben! Nachdem Essex und Littlebourne unter der Folter gestanden hatten, mit den vom Sultan ausgesandten Assassinen gemeinsame Sache gemacht zu haben, hatte Richard kurzerhand das Ultimatum zur Zahlung des Lösegeldes verkürzt, das mit Untergang der Sonne ablief. Auch dieser Feind würde lernen müssen, dass man einem Plantagenet keine Fallen stellte!
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Verwundert blickte Rahel dem im Wind schlagenden Banner Philipps nach, der mit seiner Delegation davonpreschte. Das Donnern der Hufe hatte sie aus dem Zelt gelockt, das sie nun wieder betrat, um sich neben Curd von Stauffen auf dem Diwan niederzulassen. »Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren«, flüsterte sie, als sie sich vorsichtig an die von langen Narben entstellte Brust ihres Gemahls schmiegte. Beinahe drei Wochen hatte sie um das Leben des fiebernden Curd gefürchtet, dessen tiefe Schnittwunden sich entzündet und mit dickem Eiter gefüllt hatten. Kaum eine Nacht war vergangen, in der sie mehr als vier Stunden geschlafen hatte. Wären Ansbert und Arnfried nicht gewesen, die das Mädchen immer wieder abgelöst hatten, dann wäre es vor Erschöpfung zusammengebrochen. Als Zeichen seines guten Willens hatte Richard Löwenherz seinen Leibarzt in das Lager gesandt, der mit den schwer duftenden Salben und Tränken einen nicht unerheblichen Teil zur Genesung des Templers beigetragen hatte. Auch hatte der englische König Curd das Medaillon, das man ihm am Abend seiner Gefangennahme abgenommen hatte, zurücksenden und ihn wissen lassen, dass er keinen Augenblick an seiner Loyalität zweifeln würde. »Lächerlich!«, hatte Arnfried sich erbost und den Engländer mit einigen unschönen Ausdrücken bedacht. »Wenn er so mit Leuten umgeht, denen er nicht misstraut …« Er hatte den Satz unbeendet gelassen, da in diesem Moment der Arzt das Zelt betreten hatte, um nach dem Patienten zu sehen.
»Wann wird dieser furchtbare Krieg nur zu Ende sein?«, fragte Rahel und hob den Kopf, um Curd in die dunklen Augen zu sehen, die liebevoll auf ihrem Gesicht ruhten. Am folgenden Morgen würde Richard Löwenherz den überall kursierenden Gerüchten zufolge ein Exempel statuieren, das Salah ad-Din als Warnung dienen sollte. »Vielleicht kommt es ja bald zu einem Waffenstillstand«, spekulierte Curd und setzte sich langsam auf, um seinen brennenden Durst mit dem erstaunlich frischen Wasser aus dem Brunnen im Templerlager zu stillen. Seit die meisten Kreuzfahrer entweder abgereist oder in die Stadt umgesiedelt waren, hatte die Lebensqualität vor den mächtigen Toren erheblich zugenommen. »Dann können wir uns von Nathan verabschieden und uns auf den Weg nach Deutschland machen.« Bei dem Gedanken an die Besitzungen am Rhein, die nach Fulkos Tod in ihre Hände übergegangen waren, legte sich ein Schatten der Trauer auf Rahels Züge. Wie sehr sie sich gewünscht hätte, den Onkel besser kennenlernen zu dürfen und von ihm mehr über ihren leiblichen Vater zu erfahren. Andererseits hatte sich mit den neu entdeckten Verwandtschaftsverhältnissen eine Perspektive für das junge Paar eröffnet, auf die es noch vor wenigen Monaten nicht zu hoffen gewagt hätte. Einige Minuten lauschte sie schweigend dem ruhigen Atem ihres Gemahls, bevor sie mit der Neuigkeit herausplatzte, die sie seit beinahe einem Monat mit sich herumtrug: »Ich trage ein Kind in mir«, flüsterte sie und blickte Curd mit einer Mischung aus Bangigkeit und Freude in die Augen.
Akkon, 19. August 1191
Hungrig fuhren die Pranken des englischen Königs die Schenkel des
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