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Schwerter und Rosen

Schwerter und Rosen

Titel: Schwerter und Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Bruchteil eines Atemzuges die Augen seines eigenen Bruders hasserfüllt angestarrt.
     
     
    Jerusalem, Jüdisches Viertel, September 1189

 
    Wütend raufte sich Curd von Stauffen die dunklen Locken, die er inzwischen zu einem Pferdeschwanz zusammengenommen hatte, damit sie ihm nicht immer ins Gesicht fielen. »Verdammt!«, fluchte er und trat mit dem abgetretenen Stiefel ungehalten nach einer Kakerlake, die mit abgespreizten Flügeln über den Boden seiner scheußlichen Kammer huschte. Zwar erfüllte ihn das Geräusch, das entstand, als sein Absatz den harten Panzer des Tieres zerquetschte, mit unangebracht heftiger Genugtuung. Doch es vermochte die düsteren Gedanken in seinem Kopf nicht länger als einige Atemzüge lang zu bannen. Was sollte er tun? Das heimtückische Anerbieten des Klosterbruders ließ ihn trotz des Zornes, der ihn darüber erfüllt hatte, nicht mehr los. Sollte er all die Grundsätze der Ritterlichkeit und Ehre, die Teil seines Gelübdes darstellten, einfach so ohne Weiteres aufgeben, um im Kern eigennütziges Handeln mit dem Deckmantel des Gotteswerkes zu verschleiern? Mit einem gequälten Stöhnen riss er sich den viel zu warmen Mantel von den Schultern und schleuderte ihn auf die schweißgetränkte Bettstatt, bevor er sich schwer auf die klumpige Matratze fallen ließ.
    Resigniert drehte er den Siegelring seines Vaters, den er trotz aller Not und allen Hungers immer noch nicht bei dem jüdischen Pfandleiher versetzt hatte, in den Händen hin und her und betrachtete das stumpfe Funkeln des Goldes. Was würde ihm der tapfere Ritter, an den er sich kaum mehr erinnern konnte, in solch einer Situation wohl geraten haben? Auch er war einst Mitglied des strengen Ordens der Tempelritter gewesen, hatte dann jedoch die Liebe zu Curds Mutter gefunden und das Kreuz abgelegt, um in den Dienst des Königs von Jerusalem zu treten. War es nicht eigentlich die Pflicht des Christen, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um dafür zu sorgen, dass die Heilige Stadt aus den Klauen der Heiden befreit wurde? Musste er, Curd, nicht die ihm vom Schicksal vorbestimmte Rolle erfüllen und seine einzigartige Lage ausnutzen? »Nein!«, stieß er überraschend heftig hervor und sprang auf die Füße. Der Sultan hatte ihm das Leben geschenkt, und er war ihm zur Dankbarkeit verpflichtet! Anders als all die doppelzüngigen Herrscher der angrenzenden Kreuzfahrerstaaten, denen der Bruch eines vor Gott geleisteten Eides so leicht von der Hand ging wie einem Bäcker sein Tagwerk, hielt Curd Ehrlichkeit für eine der wichtigsten Tugenden. Und er war nicht bereit, der einfach zu rechtfertigenden Versuchung so schnell zu erliegen!
    Er zerrte energisch an der breiten Kordel, die sein ehemals weißes Gewand zusammenhielt, und zog es über den Kopf. Mit nacktem, schweißglänzendem Oberkörper legte er sich zurück in die von seinem Mantel bedeckten Kissen und starrte an die Decke, wo Spinnen, Gottesanbeterinnen und Mücken um die Vorherrschaft kämpften. Soeben pirschte sich ein fetter Achtbeiner an ein hilflos in seinem Netz zappelndes Opfer heran, das sich durch seinen Todeskampf mit den klebrigen Fäden immer mehr darin verstrickte. Elegant griffen die langen Vorderbeine des Jägers tastend und doch zielsicher nach vorne aus, wo sie kurz verharrten, um die Vibrationen zu erspüren. Langsam schob sich der für die dünnen Beinchen viel zu plump wirkende Leib an die inzwischen erlahmte Gottesanbeterin heran, erstarrte für den Bruchteil eines Augenblickes und schnellte dann vor, um das in den Kieferklauen gebildete Gift in den Körper des Beutetiers zu spritzen. Nach einigen schwachen Zuckungen erlahmte das gefangene Insekt, und der erfolgreiche Fallensteller begann, seinen Vorrat in aller Seelenruhe einzuspinnen.
    Nachdem er das einseitige Schauspiel einige Lidschläge lang beobachtet hatte, verlor der Ritter das Interesse, schloss die müden Augen und versank in Grübeln. Manchmal fühlte er sich wie die unterlegene Gottesanbeterin – gefangen in einem Netz, in das er unvorsichtigerweise geraten war, und aus dem es kein Entrinnen mehr für ihn gab. Er hob die Hand an die schmerzenden Schläfen und presste Daumen und Zeigefinger gegen den Schädelknochen. Nicht nur, dass ihn der doppelzüngige Mönch in Versuchung geführt hatte! Wie um alles in der Welt sollte er die übermächtigen Gefühle rechtfertigen, die er für das jüdische Mädchen hegte?
     
     
    Eine Landzunge vor der Hafenstadt Akkon, September

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