Schwerter und Rosen
unvergesslichen Anblick. Erst als die Kälte immer unaufhaltsamer ihren Rücken hinaufkroch, riss sie sich los und senkte den Blick zu der geflochtenen Mähne ihres Reittiers. Fröstelnd zog sie den schweren Umhang aus flandrischem Tuch enger um die Schultern und schmiegte das Kinn an die Brust, um sich zu wärmen. Kaum hatten sie den Schutz der Stadt durch das Ludgate verlassen und das Gewirr der Gassen und Straßen hinter sich gelassen, breitete sich das Land vor ihnen zu einem atemberaubend grünen Teppich aus, der lediglich durch verstreute Güter und das blaue Band des enormen Wasserlaufes unterbrochen wurde. Bereits eine halbe Meile später erreichten sie die Flussbiegung, die ihre Abordnung nach Süden lenkte, wo die quadratischen Türme einer Kathedrale in den Himmel ragten. Über den spitzen, von Kreuzblumen gezierten Fialen färbte sich der Horizont allmählich purpurfarben, und die aufwendigen Steinmetzarbeiten der Hauptfassade hoben sich scharf von dem helleren Hintergrund ab. Weiter westlich zog ein Schwarm Enten nach Süden, um auf einem der kleineren Flussläufe der Region zu wassern. Wie wunderschön dieses wilde und doch gezähmte Land war, stellte Catherine bewundernd fest, als sie den Blick über die sanften Hügel zu ihrer Rechten gleiten ließ.
Wie gerne hätte sie diesen erhabenen Augenblick mit Sophie geteilt. Doch bereits in der vergangenen Woche war die Freundin von einem Vasallen ihres zukünftigen Ehemannes unzeremoniös abgeholt und in einer abgedunkelten Kutsche unter bitteren Tränen aus dem Tower geschafft worden. Arme Sophie, dachte Catherine mitleidig. Was sie wohl im Haushalt des herrschsüchtigen Herzogs von Winchester zu erdulden haben würde? Noch hatte sie eine Galgenfrist, da die Hochzeit für Ende Oktober angesetzt worden war und sich der Herzog noch in London befand, um den Krönungsfeierlichkeiten beizuwohnen. Aber was dann? Sie seufzte. War dies das Schicksal, dass alle jungen Frauen früher oder später ereilte?, fragte sie sich bitter. Wie ein Stück Vieh an einen Mann verkauft zu werden, der den besten Preis bot? Hastig verscheuchte sie die unangenehmen Gedanken und versuchte, sich auf die vor ihr liegende Herrlichkeit zu konzentrieren. Die weit vorne reitende Spitze des Zuges hatte bereits die halb unter mächtigen Eichen verborgene Nordseite der Abbey erreicht, hinter deren kurzem Dächlein sich majestätische Zwillingstürme erhoben. Kleine, in lange Kutten gehüllte Gestalten huschten geschäftig auf dem weitläufigen Kirchplatz hin und her, und Catherine vermutete, dass es sich dabei um die Benediktinerbrüder handelte, die noch letzte Vorbereitungen für die Ankunft des Königs trafen.
Als der Zug in dem überfüllten Kirchhof zum Stehen kam, saß das Mädchen ungelenk ab, ließ sich von einem der vielen, übereifrigen Pagen den Zügel abnehmen und folgte staksig der von der Königinmutter angeführten Prozession ins Innere der riesigen Kathedrale. Der König und seine Gefolgsleute waren schon vor einer halben Stunde angekommen, sodass das atemberaubend hohe Schiff bereits zu über einem Drittel besetzt war. Ein muffiger Geruch hing in der Luft. Aber sobald Catherines eng geschnürte Stiefel das dicke, in der Mitte des Hauptganges entlanglaufende Band aus rotem Tuch betraten, verdrängten die optischen Eindrücke alle anderen Sinneswahrnehmungen. Hoch über ihrem Kopf liefen die Stützpfeiler zu einem eleganten Kreuzrippengewölbe zusammen, auf dessen blumenförmigen Verzierungen Sonnenlicht tanzte. Zu beiden Seiten des prunkvollen Altars, auf dem bronzene Räuchergefäße und eine kostbare Bibel ruhten, schmiegte sich ein aus dunklem Holz geschnitztes Chorgestühl an die Wände, von denen Banner in den Farben des Königs und aller seiner Besitzungen hingen. Als sich die Damen ihren Sitzplätzen näherten, wurde Catherines Aufmerksamkeit von einem weizenblonden Schopf angezogen, der auffällig aus der Menge hervorstach. Neugierig wandte sie den Kopf, und einen Moment lang bohrte sich der Blick blauer Augen in die ihren. Wäre das Gedränge nicht so groß gewesen, wäre sie sicherlich gestolpert, als sie die ehrliche Bewunderung im Gesicht des jungen Mannes las, der ihr hinterherstarrte. Ohne Vorwarnung schoss ihr flammende Röte in die Wangen, und sie schlug hastig die Augen nieder und raffte ihre Röcke. Beinahe unhöflich drängte sie sich an einigen ausladenden Hofdamen vorbei und versteckte sich in der hintersten Sitzreihe. Obschon sie vor Verlegenheit immer
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