Schwerter und Rosen
noch zu verbrennen glaubte, lugte sie nach einer Weile verstohlen an dem breiten Rücken der vor ihr sitzenden Lady vorbei, um zu sehen, ob der Knappe sie immer noch begaffte.
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Trotz aller Sorgen und Schmerzen und des – nach heimlichem Lauschen – aufkeimenden Verdachts, dass sein Herr etwas mit dem gewaltvollen Tod des Earls of Arundel zu tun gehabt haben könnte, hüpfte Harold vor Glückseligkeit das Herz im Leibe. Sie hatte ihm ein Lächeln geschenkt! Mit vor Müdigkeit brennenden Muskeln kniete der Knabe eingekeilt zwischen seinem Herrn und John of Littlebourne in der vordersten Reihe des harten Gestühls – gegenüber den farbenprächtigen Reihen der Hofdamen. Während die Augen aller anderen dem Eingang zugewandt waren, durch den soeben zu den feierlichen Klängen einer Hymne die höchsten Mitglieder des Kirchenstandes schritten, ruhte Harolds Blick unverwandt auf den fein geschnittenen Zügen des jungen Mädchens, das schamhaft errötend den Kopf gesenkt hatte. Zwar schien sie zu glauben, hinter einer dicken Lady unsichtbar zu sein, aber dem war nicht so. Seit seiner Ankunft im Tower, als er sie in Begleitung der Königinmutter gesehen hatte, wünschte er sich nichts sehnlicher, als ihre Bekanntschaft machen zu dürfen. In letzter Zeit war ihm aufgefallen, dass sie – wenn sie sich unbeobachtet fühlte – seinen Dienstherrn mit nur mühsam verhohlener Abscheu musterte. Doch niemals hätte er zu hoffen gewagt, dass sie auch ihm Beachtung schenken könnte. Zu vollkommen waren ihre Züge, die von den großen, grünen Augen dominiert wurden, die im Augenblick allerdings die fein gehauenen Bodenquader betrachteten.
Ein heftiger Schlag auf den Hinterkopf ließ ihn zusammenzucken und hastig den Kopf senken. »Da vorne spielt die Musik!«, knurrte John of Littlebourne ihm ins Ohr und wies mit dem Kinn zu der immer näher kommenden Prozession. Gefolgt von Äbten und Bischöfen schritten die Prioren das breite Band aus rotem Tuch entlang, das von den hohen Doppeltüren direkt zum Altar führte, an dem der Erzbischof von Canterbury in eine Prunkrobe gehüllt auf den König wartete. Inmitten des Meers von Bischöfen aus allen Teilen Englands befand sich eine Insel aus weltlichen Baronen und Herzögen, die – feierlich auf Seidenkissen ruhend – goldene Sporen, das goldene Zepter und ein goldenes Band den scheinbar endlos langen Gang hinabtrugen. Dem unterdrückten Schnauben zu seiner Rechten entnahm Harold, dass es sich bei dem hochgewachsenen, silberhaarigen Mann, welcher eine prunkvolle, mit Edelsteinen besetzte Krone in den Händen hielt, um William de Mandeville, den Onkel seines Dienstherrn, handeln musste. Als die Männer am Altar angelangt waren, fächerten sie sich zu beiden Seiten der Rundung auf und machten Platz für Richard Löwenherz, der vor dem Erzbischof auf die Knie sank. Nach einer scheinbar endlosen Litanei lateinischer Worte, von denen Harold nur die Hälfte verstand, trat der Bischof schließlich vor, beugte sich zu dem König hinab und zeichnete mit dem Salbungsöl ein Kreuz auf dessen Stirn, Brust und Hände. Kaum war die Zeremonie abgeschlossen, hub ein vielstimmiger Knabenchor zu einem glockenklaren Halleluja an, das Harold einen Schauer der Ehrfurcht über den Rücken jagte.
Während die Mönche in die zweite Strophe des Triumphgesanges einstimmten, erhob sich der frisch gekrönte König von England und wandte sich seinen Untertanen zu, die überwältigt zu seiner imposanten Gestalt aufblickten. Das Gold des Kronreifes korrespondierte wunderbar mit dem rotblonden Schopf des aquitanischen Herrschers, und die Insignien der Macht schienen von jeher in seine Hände gehört zu haben. Mit ausdrucksloser Miene wartete er die letzten Akkorde des Lobgesanges ab, bevor er mit einer eleganten Geste den Mantel über den Arm warf und den Fuß auf die Altartreppe setzte. Gerade als er die ebenerdigen Steinquader erreicht hatte und sich mit Zepter und Krone auf den Weg zum Ausgang machen wollte, entfuhr einem Mitglied der Versammlung ein spitzer Schrei und ein anklagender Finger schoss zur Decke. Dort, hoch oben unter dem Dach, flatterte eine verirrte Fledermaus aufgeregt von einem Rundbogen zum nächsten. Was für ein furchtbares Omen!, durchzuckte es Harold heiß. Wie der Rest der Anwesenden hielt auch er den Atem an und verfolgte wie gebannt den Flug des aufgeschreckten Tieres. Etwas Schlimmeres konnte es nicht geben! Eine Kreatur des Teufels bei der Krönung des neuen
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