Schwerter und Rosen
1189
Das Glück war auf Guy de Lusignans Seite. Zufrieden blickte sich der ehemalige König von Jerusalem in dem immer schneller anwachsenden Heerlager vor den Toren Akkons um und streifte die Ärmel zurück. Zahllose Zeltspitzen, deren strahlendes Weiß sich von den gelblich braunen Mauern der Stadt abhob, ragten in den ungetrübten Himmel, der das beinahe blendende Azurblau des Mittelmeeres reflektierte. Am vergangenen Abend hatte unvorhergesehen ein fünfundfünfzig Schiffe umfassendes Kontingent deutscher Kreuzfahrer im Hafen der westlich des Sees Genezareth gelegenen Stadt Anker geworfen, und nun wimmelte der Strand von eifrigen Männern, die ihre Habseligkeiten entluden und Unterkünfte entlang der Landzunge errichteten. Unter den Neuankömmlingen befand sich auch eine beträchtliche Anzahl von Pilgern und Kaufleuten, die – anders als die an dem Kreuzzug teilnehmenden Ritter – auf Vergebung ihrer Sünden und einen Platz im Paradies aus waren.
Eine Abordnung von Männern aus den Handelsmetropolen Bremen und Lübeck war soeben dabei, in der Nähe der breiten Flussmündung ein improvisiertes Lazarett unter einem gespannten Schiffssegel zu errichten. Ihr Anführer, ein gewisser Sibrand aus Bremen, versuchte mehr oder weniger erfolgreich, sich über dem ohrenbetäubenden Lärm der Soldaten und Kriegsmaschinen Gehör zu verschaffen, musste jedoch rasch einsehen, dass ihn Zeichensprache weiter brachte. Fantasten!, dachte Guy verächtlich, wusste doch inzwischen jedermann, dass es in diesem Krieg nur um zwei Dinge ging: um Macht und Beute. Angewidert rümpfte er die Nase und beeilte sich, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die riesigen Kessel zu bringen, in denen aus Pferdemark Leim gekocht wurde, da der Gestank, der ihm beißend in die Nase stieg, beinahe unerträglich war und ihm die Kehle zuschnürte. Wie viel Zeit würde ihrem bunten Häuflein aus Streitern aller nur erdenklichen Nationen wohl noch bleiben, bis Salah ad-Din den Ernst der Lage erfasste und Entsatz entsandte? Inzwischen hatten sich zu den Sizilianern und Pisanern auch Dänen, Friesen, Italiener und weitere Deutsche gesellt, die alle hofften, ein Stück des aus der Ferne lockenden Kuchens für sich erhaschen zu können. Wie groß würde der Ruhm für den Feldherrn sein, dem es gelang, die Heilige Stadt wieder unter die Kontrolle der Christenheit zu bringen! Und mithilfe der Stadt Akkon, die er als Sprungbrett und Basis für dieses Unterfangen benutzen konnte, würde Guy dieser Feldherr sein, davon war er felsenfest überzeugt.
London, Westminster Abbey, 13. September 1189
Noch niemals zuvor war Catherine so aufgeregt gewesen wie an diesem geschichtsträchtigen Morgen. Noch bevor die Sonne glutrot den östlichen Horizont erklommen hatte, waren sie und weitere zwanzig Hofdamen zusammen mit der in einer prachtvollen Sänfte reisenden Königin zur Abtei von Westminster aufgebrochen. Die Luft des jungen Herbsttages war empfindlich kühl, und an den Grashalmen und späten Blumen schaukelten dicke Tautropfen. Eine Nebeldecke hing über dem schwarz glänzenden Wasser der Themse, von wo aus sie sich unaufhaltsam in die angrenzenden Stadtviertel ausbreitete. Die Lichtkegel der unzähligen Fackeln wirkten bleich und verwischt, wohingegen das Funkeln der Beschläge an Rüstungen und Trensen Messerklingen gleich durch die Dämmerung stach. Links und rechts von bis an die Zähne bewaffneten Soldaten flankiert, kroch der Zug der Damen beinahe parallel zu dem Korso aus Barken dahin, die den König auf dem ruhig dahinfließenden Strom zu der Krönungsstätte übersetzten. Nervosität und noch etwas anderes, das Catherine nicht festmachen konnte, lagen in der Luft. Selbst die Schaulustigen, die von den Soldaten des Königs auf Abstand gehalten wurden, schienen es zu spüren, da eine beinahe unheimliche Stille herrschte. Keiner jubelte, keiner spendete Beifall, und niemand rief den Reitern etwas zu. Außer dem Schnauben der Pferde, dem Klirren von Metall und dem Klatschen der Ruder durchdrang nur das eine oder andere verhaltene Flüstern die kühle Herbstluft. Klamm schlossen sich Catherines Finger um die Zügel ihrer lammfrommen Stute, während die Aufregung in ihrem Inneren zu einer gewaltigen Woge anschwoll.
Überwältigt von der Vielzahl der auf sie einstürmenden Eindrücke, wusste sie nicht, wohin sie das Auge zuerst wenden sollte. Sowohl der feierliche Zug der Schiffe, als auch die endlose Schlange der Reiter boten einen
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