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Schwerter und Rosen

Schwerter und Rosen

Titel: Schwerter und Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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of Essex war nicht gerade zimperlich, was körperliche Züchtigungen anging. Und mehr als einmal hatte er dem Knaben bereits eine schallende Ohrfeige oder einen Schlag ins Gesicht versetzt – auch wenn dieser nicht immer wusste, wofür er bestraft worden war. Allerdings konnte er sich bis jetzt glücklich schätzen, da er noch keine der furchtbaren Abreibungen davongetragen hatte, von denen Roland mit vor Entsetzen bebender Stimme berichtet hatte. Harold hatte sich gewundert, warum der Jüngere stets bemüht schien, die Linke hinter dem Rücken zu verbergen, bis ihm dieser gestand, dass der Earl sie ihm in einem Wutanfall gebrochen hatte, als er sich eines Tages unerlaubterweise davongestohlen hatte. Seine Empörung schluckend hatte sich der neue Knappe des so leicht entflammbaren Earls geschworen, ihm niemals Anlass zu solch einer Strafe zu geben, und weiter an der bereits funkelnden Stelle des Sattelschmuckes herumgerieben, damit dieser den Ansprüchen seines Herrn auch ganz gewiss entsprach.
    Harold wusste, warum der Earl seit Tagen in gereizter Stimmung war. Morgen würde Richard Löwenherz in Westminster Abbey zum König gekrönt werden, und Essex hatte fest damit gerechnet, dass ihm die Ehre zuteil werden würde, die goldene Krone zu tragen. Schließlich war er einer der mächtigsten und wichtigsten Vasallen des Herrschers über England, Aquitanien und die Normandie. Allerdings war diese Hoffnung zunichte gemacht worden, als ihm ein heuchlerisch katzbuckelnder Bote seines Onkels vor vier Tagen hatte ausrichten lassen, dass seinem Herrn, William de Mandeville, diese Aufgabe übertragen worden war. Warum, das hatte Harold nicht verstanden. Aber es hatte offensichtlich etwas mit der Königinmutter zu tun – soviel hatte er dem Toben des Earls entnehmen können, bevor sich dieser schäumend zu Bett begeben hatte. Vor Furcht zitternd hatten Roland und Harold die halbe Nacht wach gelegen und gebetet, dass sich die Gewitterstimmung bald verziehen würde – was sie jedoch zum Leidwesen beider nicht getan hatte.
    »Das wird auch langsam Zeit!« Die Stimme des Earls war schneidend vor Ungeduld, und die von tiefen Falten umrahmten Lippen waren hart aufeinander gepresst. Grob stieß Robert de Mandeville den Jungen zur Seite, schwang sich in den Sattel, ohne auf dessen Hilfe zu warten, und gab seinem Hengst mit so viel Kraft die Sporen, dass dieser empört wieherte, auf die Hinterbeine stieg und davonpreschte. Erschrockene Warnrufe ließen die Unachtsamen aufmerksam werden und gerade noch rechtzeitig aus dem Weg spritzen, bevor Essex über die Zugbrücke stürmte, die den ersten Teil des Burggrabens überspannte, dessen Bau Richard direkt nach seiner Ankunft befohlen hatte. »Beeil’ dich!«, ermahnte Roland den Älteren und ergriff den Zügel, um ihm beim Aufsteigen zu helfen. Er selbst würde im Tower zurückbleiben, was bedeutete, dass Harold alleine für ihren Herrn sorgen würde, bis die adeligen Gäste nach der Krönung in die Festung zurückkehren würden. Mit steifen Fingern nestelte Harold ein letztes Mal am Sattelgurt seiner Stute herum, bevor auch er sich auf ihren Rücken schwang, um Essex hinterher zu galoppieren, der schon nicht mehr zu sehen war. Der Horizont färbte sich bereits rot, und es würde nicht mehr lange dauern, bis die Herbstsonne hinter den Häuserdächern der Hauptstadt versank.

    *******

    In einem geräumigen Schlafgemach im zweiten Stock des Towers folgte der ungeduldige Blick grauer Augen dem Aufbruch der Edelleute, als es schüchtern an der Tür klopfte. »Was um alles in der Welt hat Euch aufgehalten?!«, bellte Richard, der bis auf sein feines Untergewand bereits vollständig entkleidet war und ungehalten mit den Fingern auf das breite Fenstersims trommelte, als ein zierliches Mädchen seiner Aufforderung einzutreten Folge leistete. Eigentlich sollte er längst in der Kirche sein und durch stundenlanges Beten seine Seele läutern. Doch er hatte beschlossen, diese Nacht im Tower zu verbringen, anstatt sich auf dem kalten Steinboden von Westminster Abbey Rheuma zu holen, und erst kurz vor Morgengrauen mit dem Schiff die Themse hinab zur Krönungsstätte zu fahren. Er glaubte sowieso nicht daran, dass dieses Ritual seine Zukunft als König der Engländer in irgendeiner Weise würde beeinflussen können. Alles, wozu es diente, war seiner Meinung nach, die Macht der Kirche über die Krone zu demonstrieren – und auch wenn er nicht so weit gehen wollte wie sein Vater, so hatte er doch

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