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Schwerter und Rosen

Schwerter und Rosen

Titel: Schwerter und Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Kelch in die Hand und wandte sich seinem Nachbarn zu, als hätte die Unterbrechung niemals stattgefunden.
     
     
    Jerusalem, Moslemisches Viertel, 14. September 1189
     
    Nachdenklich zog Philippa ihre Bahnen in dem angenehm kühlen Kaltwasserbecken des Hamams und genoss die Schwerelosigkeit des Elements . Beinahe eine Stunde lang hatte sie sich in dem geräumigen, mit weißem Marmor gekachelten Dampfbad im östlichen Teil des Bades aufgehalten, bevor ihre Poren so geweitet waren, dass sie das Gefühl hatte, keinen einzigen Schweißtropfen mehr in sich zu haben. Das Prickeln ihrer Haut begann langsam, dem angenehmen Gefühl der Abkühlung zu weichen, und während ihr blondes Haar wie sonnengebleichter Seetang hinter ihr hertrieb, sammelte sie ihre Gedanken. Die monotone körperliche Betätigung machte ihren Geist frei. Und trotz des aufgeregten Schnatterns der anderen Harems mitglieder, die im angrenzenden Palmengarten die Abendsonne genossen, fiel es ihr nicht schwer, sich auf die befremdliche Erkenntnis zu konzentrieren, die sich am vergangenen Abend in ihrem Bewusstsein eingenistet hatte.
    Seit ihrer Gefangennahme vor beinahe zwei Jahren hatte das fränkische Mädchen immer geglaubt, dass es keinen glücklicheren Augenblick in ihrem Leben geben könnte, als wenn ihre Landsmänner Jerusalem befreien würden. Doch als Salah ad-Din sich in der vorletzten Nacht von ihr verabschiedet hatte, war ihr plötzlich klar geworden, dass sie sich davor fürchtete, was geschehen mochte, wenn der seit der Eroberung durch den Sultan befriedeten Stadt erneut ein Herrscherwechsel bevorstand. Würden die Eroberer einen Unterschied zwischen Freund und Feind machen, sich darum scheren, ob die Frauen, die sie erst schändeten und dann erschlugen, Christinnen, Jüdinnen oder Musliminnen waren? Wollte sie wirklich zurück zu dem Leben, das sie als Tochter des Herzogs von Franken geführt hatte? Im Gegensatz zu dem paradoxen Gefühl der Freiheit, das sie im Harem Salah ad-Dins empfand, schienen ihr die Erinnerungen an ihre Kindheit und frühe Jugend durch rigide Einschränkungen und von außen auferlegte Unmündigkeit geprägt. Zudem empfand sie für den zwar viel älteren, aber unglaublich kraft- und liebevollen Sultan eine tiefe Zuneigung, die über bloße körperliche Liebe weit hinausging.
    Seufzend stemmte sie sich nach einem halben Dutzend weiterer Bahnen an dem mit einem blauen Blumenmuster verzierten Beckenrand in die Höhe und tastete nach dem weichen Handtuch, das sie sich vorher bereitgelegt hatte. Während das Wasser in breiten Bächen an ihrem schlanken Körper hinabrann, schlang sie das Tuch um ihre Schultern, schlüpfte in die weichen Pantoffeln und griff nach dem kleinen Fläschchen Thymianöl, das einer der Eunuchen für sie besorgt hatte. Wie immer nach einem Bad würde sie sich Beine, Arme und Rücken massieren lassen, um danach von einer der niedrigeren Sklavinnen ihr wunderbares Haar flechten zu lassen. Im Gegensatz zu den christlichen Frauen legten die orientalischen Damen äußersten Wert auf makellose Körperhygiene – eine Angewohnheit, die Philippa zuerst befremdet, später jedoch mit Bewunderung erfüllt hatte. Sie seufzte leise, als sie sich auf der kühlen Liege in einem angrenzenden Gemach niederließ, um auf den Eunuchen zu warten, der ihre Muskeln lockern würde. Man würde abwarten müssen, wie sich die Dinge entwickelten. Dann konnte sie sich immer noch den Kopf über ihre Zukunft zerbrechen.
     

    London, White Tower, 14. September 1189
     
    Mit einem ohrenbetäubenden Knall fiel die schwere Tür des Gemaches ins Schloss, und der schwere Tritt der eisenbeschlagenen Stiefel ließ die alten Bodendielen lautstark protestieren. Das wilde Flackern der im Luftzug tanzenden Pechfackel malte lange Schatten an die kahlen Steinwände, sodass die Fugen zwischen den hellen Quadern plastisch hervortraten. »Hier hast du dich also verkrochen, du faules Stück Dreck!« Eine der Pranken des wutschnaubenden Earls of Essex grub sich in den schweißnassen Kragen seines auf der harten Pritsche zitternden Pagen, während die andere zum Schlag ausholte. Das dunkle, scharf gezeichnete Gesicht des Adeligen war zu einer Grimasse verzerrt, und in seinen Augen loderte ungezügelter Jähzorn. Die Wucht des Aufpralls schickte den mageren Jungen zu Boden, wo er neben einer mit übel riechendem Erbrochenen bis zum Rand angefüllten Nachtpfanne liegen blieb. »Ich werde dich lehren, dich vor deinen Pflichten zu drücken!«, tobte der

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