Schwerter und Rosen
macht nicht in letzter Sekunde noch einen Rückzieher«, brummte Richard – ironisch den Spitznamen des französischen Königs Philipp benutzend, der ihn auf dem Kreuzzug begleiten wollte. Zu oft hatte der acht Jahre Jüngere in der Vergangenheit sein Wort gebrochen und gegnerische Parteien, wie Richard und seinen Vater, gegeneinander ausgespielt, um für sich den größtmöglichen Vorteil aus den Streitigkeiten anderer zu ziehen. »Das wäre die beste Gelegenheit für ihn, sich den Norden Frankreichs völlig unter den Nagel zu reißen.« Der Earl an seiner Seite nickte versonnen. Wenn der Sohn des Aquitanischen Herrschergeschlechts im fernen Palästina weilte, könnte Philipp von Frankreich der Versuchung erliegen, seinem Herrschaftsbereich weitläufige Gebiete in der Normandie und Südfrankreich einzuverleiben. »Er wird sicherlich nicht glücklich darüber sein, dass Ihr eine Ehe mit Berengaria von Navarra ins Auge fasst«, warf er wie beiläufig ein – war das Gerücht doch inzwischen allgemein bekannt. Dennoch wirbelte Richard mit einer steilen Falte zwischen den Brauen herum, presste sich jedoch augenblicklich die Hand vor den Mund und erbrach sich vor die Füße seines Vasallen. »Da seht Ihr, was Ihr von solchen Behauptungen habt«, keuchte er, nachdem er sich mit einem hastig gereichten Tuch den Mund gewischt hatte und einige Schritte zur Seite getreten war, um dem mit Bürste und Eimer herbeieilenden Schiffsjungen Platz zu machen. »Er wird immer noch erwarten, dass Ihr seine Schwester Alys ehelicht«, beharrte Derby ungerührt und bot dem König den Arm, um ihn zu stützen. »Ach!«, winkte dieser mit grauem Gesicht ab. »Ich werde ganz sicher nicht eine Frau heiraten, die schon mein Vater zu seiner Hure gemacht hat!«
Auf wackeligen Beinen ließ er sich zu der eigens für ihn zusammengezimmerten Kabine geleiten, öffnete die niedrige Tür, zog den Kopf ein und trat in das nach neuem Holz duftende Innere. »Ich werde beten, dass diese Überfahrt so schnell wie möglich vorübergeht«, scherzte er säuerlich, nickte seinem Vertrauten zu und zog sich zurück. Mit einem belustigten Funkeln in den Augen schüttelte der Earl of Derby den Kopf und trat erneut an die Reling, um den auffrischenden Wind zu genießen. Als er den Kopf wandte, fiel sein Blick auf Robert de Mandeville, der mit seinem Knappen ebenfalls an Bord war, und er runzelte missfällig die Stirn. Der Junge sah aus, als habe er eine ordentliche Tracht Prügel verabreicht bekommen. Und wie er Essex kannte, musste er dafür nicht einmal etwas ausgefressen haben. Er war froh, dass seine Tochter auf einem der Frachtschiffe war, die nach Poitiers segelten, da sie so vor Nachstellungen sicher war. Als de Mandeville seinen Blick auffing, zog er die Brauen zusammen. Da William de Ferrers kein Bedürfnis verspürte, unnötig den Unwillen des anderen auf sich zu ziehen, wandte er den Kopf und fixierte die bereits verschwommen in der Ferne auftauchende Küstenlinie der Normandie.
Teil 2: Mai 1190 – März 1191
Nonancourt, Mai 1190
Eine sanfte, wenn auch kühle Brise trug den würzigen Duft des Kiefernwaldes in die riesige, von Krähen umkreiste Stadt aus Zelten. Seit März lagerte das englische Kreuzfahrerheer bereits in dem lang gestreckten Tal im Osten der Normandie, und allmählich konnte man die Ungeduld und Spannung spüren. Das helle Grün der Bäume und Wiesen verwandelte sich unter der sengenden Maisonne bereits zu der dunkleren Schattierung des Sommers, und an den Kirschbäumen reiften die ersten saftigen Früchte. Bald würde sich die Streitmacht der Engländer bereit machen zum Weitermarsch nach Süden, und die Unruhe der Aufbruchsstimmung lag bereits über den zahllosen Zeltdächern. Bei einem Treffen vor zwei Monaten hatte König Richard den durch seine Heiratspläne erzürnten Philipp von Frankreich besänftigt, indem er diesem kurzerhand einige wichtige Einzelheiten vorenthalten hatte. Woraufhin sich die beiden Widersacher gegenseitig einen Eid geleistet hatten. Dieser beinhaltete, dass jeder die Besitztümer des anderen während ihrer Abwesenheit unangetastet zu lassen hatte. Zudem hatten die beiden Herrscher vereinbart, sich Anfang Juli vor Vézelay zu treffen, was dem jungen Anführer der Franzosen genug Zeit gab, um letzte Vorbereitungen zu treffen.
Das dumpfe Donnern von Hufen riss Harold aus dem halbschlafähnlichen Zustand, in den er verfallen war, seit er einen anderen Knappen an der riesigen Feuerstelle abgelöst
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