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Schwerter und Rosen

Schwerter und Rosen

Titel: Schwerter und Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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hatte. Seit Stunden briet das saftige, fetttriefende Wildschwein bereits über den Kohlen, und seine Schwarte begann langsam, sich von einem von Blasen aufgeworfenen Rot in ein knuspriges Dunkelbraun zu verwandeln. Immer wieder musste Harold streunende Köter aus den benachbarten Dörfern verscheuchen, die ihn mit Schwanzwedeln und heiserem Kläffen dazu überreden wollten, ihnen ein Stückchen des Festmahles abzutreten. Der Duft, der von dem Braten ausging, vermischte sich mit dem beißenden Qualm des Feuers und dem Geruch des Harzes, und Harold spürte, wie sich sein Magen hungrig zusammenzog. Zwar hatte er an diesem Morgen eine nicht zu verachtende Portion Porridge verschlungen, doch sorgten die harte Arbeit und die frische Luft dafür, dass er – kaum war der letzte Bissen in seinem Mund verschwunden – bereits an die nächste Mahlzeit dachte. Dank eines nahen Baches war für ausreichend Trinkwasser gesorgt. Und nachdem der König das Verrichten der Notdurft in diesem Wasserlauf ausdrücklich untersagt hatte, war die Qualität des damit zubereiteten Essens deutlich gestiegen.
    Gelangweilt drehte Harold den Spieß eine Umdrehung weiter und starrte in die Glut. Noch immer hatten sich die Zuversicht und Aufregung, die er eigentlich angesichts des bevorstehenden Abenteuers empfinden sollte, nicht gegen die Leere in seinem Herzen durchgesetzt, die manchmal drohte, ihm die Luft abzuschnüren. Trotz der Hoffnungen, welche er insgeheim gehegt hatte, war es ihm während des Aufenthalts am Hof der Königinmutter in Poitiers – wo die Kreuzfahrer überwintert hatten – nur ein einziges Mal gelungen, der Dame seines Herzens seine Bewunderung auszusprechen. Gemeinsam mit den jüngeren weiblichen Mitgliedern des Hofstaates hatte sie an einem milden Nachmittag in dem labyrinthähnlichen Garten ein heiteres Versteckspiel gespielt, als sie Harold buchstäblich über die Füße gestolpert war. »Ihr scheint mich zu verfolgen«, hatte sie ihn geneckt und ihm einen bezaubernden Augenaufschlag geschenkt, woraufhin er errötet war und beschämt den Blick zu Boden gesenkt hatte. Aber als er ihr leises Lachen vernahm, hatte er all seinen Mut zusammengenommen und mit zitternder Stimme erwidert: »Eure Schönheit zieht mich an wie ein Zauber.« Daraufhin hatte ihrerseits flammende Röte die schneeweißen Wangen überzogen. Doch bevor Harold etwas hinzufügen konnte, war eine der anderen Damen durch den aus sorgsam gestutzten Hecken bestehenden Torbogen geeilt und hatte sie unter fröhlichem Kichern mit sich fortgezogen.
    Den Rest der Zeit hatte er damit zugebracht, sie aus der Ferne anzubeten, da Aliénor von Aquitanien streng darauf achtete, dass die unverheirateten Edelfräulein nicht von Knappen oder Jungrittern belästigt wurden. Meist lauschten die Damen in der Grande Salle der Grafenburg den Vorträgen der Troubadoure oder gaben sich in der angrenzenden Notre-Dame-la-Grande dem Gebet oder der Meditation hin – beides Tätigkeiten, von denen die Männer ausgeschlossen waren. Wie beinahe jeden Tag versuchte er auch jetzt, sich die feinen Züge des Mädchens in Erinnerung zu rufen, auch wenn es von Stunde zu Stunde schwerer zu werden schien. Die von dichten Wimpern umrahmten Augen von der Farbe des Meeres, die ihm die Knie schwach werden ließen; den köstlichen Schmollmund mit der Oberlippe in Form eines Cupidobogens; und die widerspenstigen dunkelblonden Locken, die sich stets unter den strengen Kopfbedeckungen hervorkräuselten. Er seufzte und fuhr erschrocken zusammen, als ihn eine tiefe Stimme aus den Träumereien aufschreckte.
    »Wann ist es denn so weit?«, fragte der riesenhafte Henry of Cirencester mit hungrigem Blick, nachdem er sich aus dem Sattel seines Schlachtrosses hatte gleiten lassen. Der rote Schopf des Ritters war unbedeckt, und die unschuldig wirkenden blauen Augen ruhten gierig auf dem saftigen Braten. Die breiten Schultern des Hünen bedeckte eine dünne Cotte, auf der das Wappen seines Dienstherrn – des Earls of Gloucester – prangte, und er war lediglich mit Schwert und Langbogen bewaffnet. »Ich bin am Verhungern!«, gestand er grinsend und stieß dem Knaben freundschaftlich in die Seite. Seit dem von Harold belauschten Gespräch im Tower schien er zum Schatten des grimmigen John of Littlebourne geworden zu sein, der in der Zwischenzeit ebenfalls das Lager erreicht hatte und in gemäßigtem Trab auf das Zelt seines Herrn zuritt. »Wenn wir hier nicht bald wegkommen, wird es in diesem Wald die nächsten

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