Schwerter und Rosen
Wasser über seinem Kopf zusammenschlagen, tauchte einige Dutzend Fuß das sandige Flussbett entlang, bis er wieder an die Oberfläche schnellte und die Prozedur wiederholte.
Jerusalem, Jüdisches Viertel, November 1189
»Vater!« Mit einem trockenen Schluchzen flog Rahel dem ausgemergelten Mann, der nach einem kurzen, aber heftigen Austausch mit dem das Hoftor bewachenden Bediensteten in den schattigen Palmengarten trat, in die Arme. Das ehemals dunkelblonde Haar war von schmutzig grauen Strähnen durchzogen, und der einst gepflegte Bart wucherte bis beinahe auf die Brust des Juden. Sein schlichtes, wollenes Gewand war an mehreren Stellen durchgewetzt, und das uralte, dürre Kamel, das er an einem derben Strick hinter sich herführte, war nicht einmal ein Schatten des prächtigen Tieres, auf dem er vor vier Monaten aufgebrochen war. »Ihr lebt!« Ungestüm drückte sie ihren Ziehvater an sich, während sie den Tränen der Freude und Erleichterung freien Lauf ließ. Als Nathan bei der Umarmung mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammenzuckte, wich sie erschrocken zurück und blickte mit sorgenvollem Blick zu ihm auf. »Seid Ihr verletzt?«, fragte sie bang und tastete seine Erscheinung mit weit aufgerissenen Augen ab. Mit einer müden Geste hob der erschöpfte Kaufherr die Hand und schüttelte den Kopf. »Nein, Kind. Ich bin es nur nicht mehr gewohnt, die Nächte auf kalten Steinen zu verbringen«, log er. Obgleich die meisten der Verbrennungen und Striemen, die er davongetragen hatte, inzwischen verheilt waren, fühlte sich sein Körper immer noch wund und empfindlich an.
»Führ mich ins Haus«, bat er und stützte sich auf seine Tochter, die ihn in die kühle Eingangshalle geleitete, in der Daja bereits auf sie wartete. »Herr«, begrüßte sie ihn tonlos und nahm ihm den zerschlissenen Beutel ab, den er um die Schulter geschlungen hatte. »Wo sind die anderen?« Nathan, der sich inzwischen schwer auf einen der niedrigen, mit Leder überzogenen Sitzsäcke hatte fallen lassen, schüttelte traurig den Kopf. »Sie haben mich freigekauft«, murmelte er erschöpft und schloss die Augen, als die schrecklichen Bilder wieder in ihm aufstiegen. Gerade als er geglaubt hatte, mit dem Leben abgeschlossen zu haben, hatte er die Kühle einer Klinge auf seiner Haut gespürt und war von helfenden Händen auf die Beine gestellt worden. »Ihr seid frei«, hatte der Aga ihn mit einem zuckersüßen Lächeln informiert und auf die schwer beladenen Kamele gewiesen, vor denen Nathans Männer zu einem verschüchterten Häuflein zusammengedrängt herumstanden. »Aber die Hälfte der Tiere bleibt hier.« Halb tot vor Durst und Schmerzen hatte der Kauffahrer einfach nur genickt, in die ihm gebotene Hand eingeschlagen und sich mit seinen Leuten – je zwei auf einem Kamel – auf den Weg in die nächste Stadt gemacht. Womit er nicht gerechnet hatte, war, dass in der ersten Schlucht ein Hinterhalt auf sie wartete, in dem alle seine Bediensteten den Tod gefunden hatten. Nur durch eine glückliche Fügung des Schicksals war er mit der bloßen Haut und einem der Tiere davongekommen, das er für ein weitaus minderes und etwas zu essen und trinken hatte eintauschen müssen.
»Ich möchte mich ein wenig ausruhen«, murmelte er und legte die zitternde Rechte auf den Kopf des Mädchens, das neben ihm auf dem Boden kniete. »Es war eine anstrengende Reise und ich bin sehr erschöpft.« Die besorgten und unruhigen Blicke der beiden Frauen ignorierend, erhob er sich mit steifen Gliedern, drückte Rahel einen trockenen Kuss auf die bleiche Wange und steuerte auf die Durchgangstür zu seinem Kontor zu, wo ein breiter Diwan auf ihn wartete. »Weckt mich in zwei Stunden«, bat er, trat durch die Tür und verschwand in dem bescheidenen Gemach, während Rahel und Daja einen bekümmerten Blick tauschten. Nachdem er die Vorhänge zugezogen hatte, ließ er sich auf die weiche, mit dicken Kissen gepolsterte Bettstatt sinken, schloss die Augen und verschränkte die Hände auf der Brust. Das Gefühl, dass etwas anders war an seinem Heim, wurde von den lastenden Sorgen verdrängt. Wie sollte es nun weitergehen?, fragte er sich mit schwerem Herzen. Anstatt ihm Reichtum und Wohlstand zu bescheren, hatte ihn diese Kauffahrt nicht nur an den Rand der physischen Existenz, sondern auch an den finanziellen Abgrund gebracht. Zwar stand die Rückkehr einiger seiner Karawanen noch aus. Doch wenn es diesen ebenso ergangen war wie der seinen, dann bestand nicht viel
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