Schwerter und Rosen
konnte er schon lange!, ermutigte sich Harold, holte tief Luft und brachte mit einem heftigen Ruck seinen Nasenrücken in die ursprüngliche Position zurück. Als ihm glühender Schmerz ins Gehirn stach, stieß er einen gellenden Schrei aus, fiel auf die Knie und rang keuchend nach Atem. Nach einer scheinbaren Ewigkeit wischte er die Tränen aus den Augen, hob den Blick und begutachtete sein Werk. Abgesehen von den beiden Blutbächen, die nun von seiner Oberlippe über Mund und Kinn in den ohnehin schon befleckten Kragen seines Untergewandes liefen, hatte sich sein Aussehen um einiges verbessert. Mit fahrigen Händen riss er einen dünnen Streifen aus dem Stoff seines Ärmels, faltete ihn einmal und drückte ihn auf die ebenfalls heftig blutende Platzwunde, bevor er von dem Spiegel zurücktrat und schwankend in seine Schlafkammer zurücktaumelte. Müde lehnte er sich mit dem Rücken gegen die kalten Steinquader der Wand, rutschte zu Boden und wartete darauf, dass sich sein rasender Herzschlag beruhigte. Wo war er da nur hineingeraten?, fragte er sich verwirrt. War der Earl ein Verräter? Allein der Gedanke daran erfüllte ihn mit solch entsetzlicher Furcht, dass sich ihm der Magen umdrehen wollte. Er würde Essex und Littlebourne im Auge behalten, beschloss er trotzig, ließ die Augen zufallen und nickte wenig später erschöpft im Sitzen ein.
An Bord eines englischen Kriegsschiffes, November 1189
Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, das selbst die bevorstehenden Qualen der Seekrankheit nicht vertreiben konnten, warf Richard Löwenherz einen letzten Blick zurück auf die majestätischen Kreidefelsen, die schroff in die für die Jahreszeit erstaunlich ruhigen Fluten abfielen. Der Himmel über der Flotte der Engländer erstrahlte in hellem Blau, das lediglich im Westen von einigen winzigen Wölkchen unterbrochen wurde. Das lautstarke Flattern des Rahsegels, in dessen Schatten er an der hölzernen Reling lehnte, übertönte beinahe die gebrüllten Befehle, welche die Ruderer dazu veranlassten, die vor Nässe glänzenden Blätter aus dem Wasser zu ziehen und in den dafür vorgesehenen Halterungen zu verstauen. Mehr als einhundert Schiffe hatte er in der kurzen Zeit, die ihm zur Planung dieses gigantischen Unternehmens zur Verfügung gestanden hatte, zusammenbekommen, von denen jedoch lediglich ein knappes Drittel auf Kosten seiner Staatskasse ging. Den Rest hatten eifrige Bürger, Beamte oder Feudalherren aufgebracht, um sich so seine Gunst oder die Vergebung ihrer Sünden zu erkaufen. Die weißen Wellenkämme des Kanals waren, so weit das Auge reichte, übersät mit bauchigen Vorratsschiffen, schlanken, wendigen Galeeren und den plumpen Einmastern, welche die Kauffahrer Londons ihm überschrieben hatten.
»Beeindruckend, nicht wahr?« Langsam, um seinen empfindlichen Magen nicht zu reizen, wandte sich Richard um und blickte dem zu ihm getretenen Earl of Derby in die strahlend grünen Augen. Mit der Linken hielt der untersetzte Mann seinen leichten Umhang fest, der in der kühlen Atlantikbrise flatterte, während er mit der anderen Hand auf die Schiffe wies, die langsam auf die offene See zusteuerten. »Ja«, erwiderte Löwenherz ebenso formlos. »Aber ich bin froh, wenn wir wieder festen Boden unter den Füßen haben.« William de Ferrers lachte leise. »Wenn es Euch beruhigt«, stellte er schmunzelnd fest. »Euer Vater hatte dieselbe Einstellung.« Richard zog verächtlich die Mundwinkel nach unten und beobachtete, wie sich die Flotte hinter ihm teilte. Der größte Teil, der seinen Schatz an Bord hatte, würde direkt nach Poitiers segeln, während Richard mit lediglich einer Handvoll Galeeren in Calais Anker werfen und über Land nach Aquitanien ziehen würde. Jedes der unelegant wirkenden Transportschiffe hatte Waffen, vierzig Ritter, Pferde und Fußsoldaten sowie Lebensmittel für ein Jahr an Bord, sodass seine Streitmacht etwa achttausend Mann umfasste – was genügen sollte, um die Sarazenen das Fürchten zu lehren. Zwar würde die Gesamtzahl der Kreuzfahrer geringer sein als bei dem unter verheerenden Verlusten gescheiterten zweiten Kreuzzug. Doch würde bei diesem als Militärexpedition geplanten Unterfangen die Anzahl der Bewaffneten weitaus größer sein als im Jahr 1147. Religiöse Eiferer waren ebenso unerwünscht wie Kaufleute, die sich von einem Sieg über die Heiden Reichtümer und einträgliche Handelsbeziehungen versprachen.
»Ich hoffe nur, dieser doppelzüngige Dieudonné
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